Home    Jahrgangsverzeichnisse    Konzept    Beirat    Editionsgruppe    Erwägungslabor  

Druckversion 

Zeitschriftenprojekt
ERWÄGEN WISSEN ETHIK (EWE)

Nicht besondere soziale Bereiche, nicht bloß einzelne Gesellschaften oder Regionen, sondern die Menschheit insgesamt ist mit geschichtlich unabsehbaren Folgen von grundlegenden Herausforderungen wie Gen- und Medizin-, Computer- und Robotertechnologien, Erschließung des Weltraums, ökologischen Problemlagen und Kriegen mit ABC-Waffen betroffen, die allesamt von Menschen gemacht sind. 

Institutionen und moralische Orientierungen, die diese Herausforderungen aufnehmen könnten, stammen aus Zeiten, in denen diese Herausforderungen höchstens in Utopien oder phantastischen Geschichten ahnbar waren. Es ist zu prüfen, ob sie diese Herausforderungen überhaupt bewältigen können. Auch die kulturwissenschaftlichen Bereiche gründen nicht nur selbst in jenen vergangenen Zeiten, sondern sie stecken noch dazu in Formen, die es keineswegs mit der Effektivität der Technologien aufnehmen können, die die geschichtlich neue Lage haben schaffen lassen. In den einzelnen Sozial- bzw. Kulturwissenschaften wird der Mangel immer wieder als Krise diagnostiziert und in der Ethik ist das Angebot an grundsätzlich widersprechenden Orientierungen Normalzustand. Dieser Zustand ist, besonders angesichts der technologischen Herausforderungen, selbst als Herausforderung anzunehmen. 

In allen Bereichen der angedeuteten Herausforderungen findet man eine Vielfalt an Meinungen und Einstellungen. Vor aller problemrelativen Klärung ist nicht auszumachen, welche der Positionen zutreffend und welche es nicht sind, oder ob unter den Positionen gar nicht begründet auszuwählen ist, etwa weil noch gänzlich neue zu erarbeiten sind. Solche Klärungen müssen erst einmal die Vielfalt an Positionen aufnehmen, um für Begründungs- und damit Verantwortungsversuche Voraussetzungen zu schaffen. Für den Bereich der Wissenschaften bedeutet dies, dass zu jeweiligen Problemlagen Vielfalt umfassend und institutionalisiert zusammenzubringen und zu entwickeln ist. Doch diese Idee lässt sich nur schwer verwirklichen, weil die Kommunikation zwischen den Vertretern und Vertreterinnen verschiedener Positionen unter einer doppelten Einschränkung steht: 

Vertreterinnen und Vertreter jeweiliger Positionen gehören zumeist Strömungen, Richtungen oder Schulen an. Diese stecken den Rahmen ab, welche anderen Positionen als relevant eingeschätzt werden, welche man durch Gegnerschaft noch achtet, welche in Feindschaft nur abwertend zur Kenntnis genommen oder gänzlich missachtet werden. Es gibt gegenwärtig keine institutionalisierten wissenschaftlichen Kommunikationsinstanzen, die explizit anstreben, diese Einschränkungen aufzuheben. Hieraus resultieren die oben schon angedeuteten, immer wieder diagnostizierten Kriseneinschätzungen und Schwierigkeiten, nicht nur die Literaturflut zu bewältigen, sondern auch angemessen zu kritisieren. 

Zu dieser durch Positionen bedingten Kommunikationseinschränkung kommt eine zweite hinzu. Viele Problemgebiete sind nicht an die institutionalisierten Disziplinen gebunden. Man kann die These verteidigen, dass, je grundlegender die Problemlagen sind, sie um so weniger von Kompetenzen her zu bearbeiten sind, die sich aus durch Spezialisierung entstandenen Fächern herleiten. Vermutlich sind die oben angedeuteten grundlegenden Herausforderungen nur dann zu bewältigen, wenn sich statt der durch Spezialisierungen hervorgebrachten Disziplinen gegenläufige Institutionalisierungen verbreiteten, die generalistischere Kompetenzen ermöglichen würden (Transdisziplinarität), also nicht allein Interdisziplinarität hervorbrächten oder nur kurzfristige, an Projekte gebundene generalistische Kompetenzen entstehen ließen. Andererseits ist der Gefahr zu begegnen, eine von den speziellen Disziplinen losgelöste und mit ihnen nicht mehr wie auch immer kritisch zu vermittelnde Überflieger-Generalistik zu fördern. Eine disziplinen-vermittelte Generalistik ist also auszubilden. Hierzu kann auch die Zusammenführung mit der eher generalistischen Ethik beitragen. 

Jede Person, die in wissenschaftlichen Bereichen kritische Vielfalt möglichst umfassend zusammenbringen möchte, ist nun selbst von beiden Einschränkungen betroffen, denn sie vertritt unweigerlich bestimmte Positionen und hat in der Regel eine fächergebundene Ausbildung hinter sich. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die etwa über Psychisches oder Soziales Konzepte entwickeln, können in die Lage gelangen, dass sie selbst unter diese Konzepte fallen. Hierin liegt die Gefahr, Konzepte so einzurichten, dass man die eigene Position als die beste auszeichnet. Die hinter dieser Bornierungsgefahr stehende Selbstreferentialität ist nicht zu umgehen, sondern zu thematisieren, damit Mittel gefunden werden können, die die aus der Positionalität und spezialistischen Disziplinarität resultierenden möglichen Einschränkungen aufheben helfen. 

Welche Institutionalisierungen sind also geeignet: 
- möglichst viele Strömungen, Richtungen und Schulen für eine kritische Vielfalt zusammenzubringen, 
- möglichst Vertreter und Vertreterinnen verschiedener Fächer, die ein Thema umfassend erörtern, zusammenzuführen und 
- zugleich das Problem der Selbstreferentialität aufheben zu helfen? 

Es müssen Zeitschriften institutionalisiert werden, die selbst als Forschungsprojekte zu entfalten sind. Will man eine umfassende und problemadäquate Vielfalt zusammenbringen, muß die klassische Filterfunktion von Herausgebern und Herausgeberinnen, Redaktion und Beirat hinsichtlich der inhaltlichen Bewertung von Beiträgen derart aufgehoben werden, dass einerseits die Linie einer solchen Vielfalt möglich wird, aber andererseits auf längere Sicht nicht die Qualität der Beiträge leidet, sondern zunimmt. 

Es muss also ein Weg gefunden werden, wie Beiträge in eine Zeitschrift aufgenommen werden können, ohne dass inhaltliche Maßstäbe von Seiten der Herausgeberschaft usw. an diese Beiträge angelegt werden. Andererseits sollen diese Beiträge ohne den klassischen Filter einer Herausgeberschaft dennoch derart kritisch eingeschätzt werden können, dass hierdurch die Qualität der Beiträge zunehmen kann. Diese Konstellation lässt sich dadurch erreichen, dass man einen Beirat aufbaut, der andere Funktionen übernimmt, als Beiräte üblicher wissenschaftlicher Zeitschriften. 

Beiratsmitglieder sollen das Recht haben: 1. alle Hauptartikel zu kritisieren und 2. Briefe zu veröffentlichen, wenn sie etwas an der Zeitschrift kritisieren wollen. Trotz seiner Größe wird ein solcher Beirat auf Dauer nur zu einem geringen Teil Beiträge liefern. Seine wesentliche Aufgabe liegt einerseits in der Kontrollfunktion, die Vertrauen dafür schaffen soll, dass diese Zeitschrift der Aufgabe, möglichst umfassend kritische Vielfalt zusammenzubringen, gerecht wird, derart, dass es auch für verfeindete und einander missachtende Positionen nicht reputationsmindernd wirkt, in dieser Zeitschrift zu veröffentlichen. Andererseits hat diese Kontrollfunktion zur Folge, dass, wer in dieser Zeitschrift veröffentlichen will, weiß, daß Beiratsmitglieder kritisieren könnten. Hierdurch soll auf Dauer ein hohes Niveau der Zeitschrift erreicht werden, wobei die Kriterien für eine solche Maßbestimmung auch in der Zeitschrift selbst zu diskutieren sind. 

Die Organisation von Diskussionen und insbesondere das Erkunden und Einwerben von potentiellen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen sowie die Diskussionen mit diesen erfordert ein wissenschaftliches Team, das selbst vom Geist des Forschens getragen ist. In diesen Tätigkeiten kommen die Maßstäbe des Teams zum Ausdruck. Es sollte daher sich selbst an dem Kritikprozess der Zeitschrift beteiligen, um so die Positionen für Außenstehende durchsichtiger und kritisierbar zu machen, aber auch, um zu verdeutlichen, dass Veröffentlichungen nicht die inhaltliche Zustimmung des Teams hätten. Ein solches Team muss also ein Forschungsteam sein und als Redaktion bildet es eine Forschungsredaktion. 

Will man die oben angegebenen grundlegenden Herausforderungen auch dadurch aufnehmen, dass man versucht, zu begründeteren Entscheidungen zu gelangen, und sei es nur, dass man zu begründen vermag, warum zu jeweiligen Problemen nach gegenwärtigem Wissen keine befriedigend begründeten Entscheidungen möglich sind, dann genügt es nicht, zu Problemlagen eine kritische Vielfalt an Meinungen zusammenzuführen. Schon das Wissen um die anhaltenden latenten oder manifesten Grundlagenkrisen in einzelnen Disziplinen kann verdeutlichen, dass die bloße Konfrontation von Meinungen und Gegenmeinungen noch nicht zu einem Klärungsprozess führen muss, sondern dies eines eigenen Forschungsprozesses bedarf. 

Wenn man die Vielfalt an Meinungen zu jeweiligen Problemlagen zusammenführt, um Voraussetzungen für begründetere Entscheidungen zu schaffen, dann erschwert die Ausgrenzung von Meinungen als »subjektiv« oder »irrational« - ähnlich wie bei unterschlagenen Fakten -, für diese Vielfalt Klärungen zu versuchen, und verschafft damit jenen Tendenzen Raum, die wissenschaftlicher Rationalität nur geringe oder keine wahrhaftigen Klärungen zutrauen.