China-Retrospektive: Chinesische Wirtschaftspsychologie

Eckdaten

Titel: Chinesische WirtschaftspsychologieXiuCaiNo38

Autor: Richard Wilhelm

Erscheinungsjahr: 1930

Verlag: Deutsche Wissenschaftliche Buchhandlung

Seiten: 120 (98 als PDF)

Zugriff über das Ostasieninstitut der FH Ludwigshafen: http://xiucai.oai.de/XiuCai/XiuCaiNo38.pdf

Kurzbeschreibung

Das Buch Wirtschaftspsychologie gibt einen guten Ãœberblick über die wirtschaftlichen Strukturen von China zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Dazu erklärt der Autor auch, wie es zu diesen Strukturen gekommen ist und in wie fern die Psychologie der Chinesen auf die wirtschaftlichen Strukturen eingewirkt hat oder wie diese dadurch angepasst wurden. Auch wagt der Autor an vielen Stellen einen Blick in die Zukunft und liegt – aus der heutigen Zeit betrachtet – erstaunlich richtig mit seinen Vermutungen.

Autor

Richard Wilhelm ist 1873 in Stuttgart geboren und begann 1891 ein Theologie-Studium an der Universität Tübingen. In seinem zweiten Vikariat lernte er Christoph Friedrich Blumhardt kennen. Nach dem Abschluss des Studiums ging er zusammen mit Blumhardts Tochter als Missionar nach China. Dort heiratete das bereits verlobte Paar 1900 in Shanghai. In der deutschen Kolonie Qingdao (heute durch das Tsingtao Bier bekannt; Paderborn ist Partnerstadt) lernte er Chinesisch und arbeitete als Pfarrer und Pädagoge. Obwohl er als christlicher Missionar arbeitet, wurde er schon bald ein Bewunderer und Fürsprecher der chinesischen Kultur. Auch sein alter Freund Blumhardt löste ihn von der engen Bindung zur evangelischen Kirche. Nach 20 Jahren beendete er seine Arbeit in Qingdao, blieb aber nicht lange in Deutschland sondern begann 1922 als wissenschaftlicher Berater in der deutschen Botschaft in Peking. Zudem lehrte er an der Peking-Universität. 1924 kehrte er dann nach Deutschland zurück und gründete das China-Institut an der Goethe-Universität. Durch seine zu dieser Zeit noch einzigartigen Erfahrungen hatte er auch gute Kontakte zu den Gelehrten und Philosophen seiner Zeit wie z.B. Albert Schweizer. Fortan begann er sich ausschließlich der Sinologie zu widmen. Er setzte sich für den Austausch der Kulturen ein und sah die Missionstätigkeit zunehmend als kritisch: “Es ist mir ein Trost, daß ich als Missionar keinen Chinesen bekehrt habe”. Kurz vor seinem Tod beendete er auch das Buch Chinesische Wirtschaftspsychologie. Richard Wilhelm verstarb 1930 an einer schweren Tropenkrankheit in Tübingen.

Quellen: Universität Frankfurt Wikipedia

Motivation

Vor der eigentlich immer noch anhaltenden Öffnung Chinas, aber hauptsächlich vor dem späten 20. Jahrhundert gab es wenige Informationen, die ich zu China – speziell zu seiner Wirtschaft – wusste. Es war mir durchaus bewusst, dass Chinesen gerne Produkte so identisch wie möglich nachbauen. Als Zeichen der Wertschätzung der Erfindung. Aber wie kamen die Chinesen hin zu dieser Denkweise? Wie war die Arbeit in der Gesellschaft gegliedert? Natürlich kann man sich dort das Handwerk ähnlich wie die Zünfte in Deutschland vorstellen. Aber aufgrund der wirklich so differenzierten Kulturen schien es mir wirklich lohnenswert, sich damit mal genauer zu beschäftigen.

Inhalt

China am Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Wirtschaft ist komplett von der restlichen westlichen Weltwirtschaft abgeschirmt. Die westlichen Wirtschaften allen voran die USA sind bestrebt die wirtschaftlichen Betriebe immer weiter zu Mechanisieren und den Menschen während der Arbeit als eine exakt funktionierende Maschine zu sehen, die möglichst gewinnbringend arbeitet. Während der Freizeit hingegen hat der Mensch alle Freiheiten und kann in seiner Freizeit als ein selbstständiges Individuum auf alle ihm verfügbaren Ressourcen zurückgreifen. Im Gegensatz dazu versucht man in China alle Volksschichten möglichst gleichmäßig zu erziehen, um keine extremen Klassenunterschiede zu erzeugen. Die Arbeiter werden sehr gut ausgebildet, um auch mit sehr einfachen Werkzeugen probate Güter zu erzeugen. Das Leben ist einfach und Sparsamkeit ist wichtig, um alle mit dem Lebenswichtigen zu versorgen. Es sind zwei verschiedene Weltanschauungen und es ist unklar, welche davon sich schlussendlich durchsetzen wird oder gar eine Mischung davon. Was aber deutlich wird, ist dass wenn sich das westliche Wirtschaftssystem auch in China ausbreiten wird, es zu einem psychischen Umdenken der Bevölkerung kommen muss, um keinen Nachteil zu haben.

Angefangen hat die Wirtschaft im Bereich des Jangtsekiang sowie des Gelben Flusses mit dem Ackerbau. Die Sippe war nach Art der patriarchalischen Großfamilie organisiert und Privateigentum gab es nicht. Der Ertrag wurde gleichmäßig verteilt. Die Männer arbeiten in der warmen Jahreszeit auf den Äckern und wurden von den Frauen, die im Dorf wohnten versorgt. Erst im Winter kamen die Männer mit der Ernte heim und ruhten sich bis zum Frühjahr aus. In dieser Zeit übernahmen die Frauen die meiste Arbeit und stellten u.a. Kleidung her. Diese Sippe wird als Urzelle der chinesischen Gesellschaft gedeutet. Besonders fleißige Mitglieder wurden durch gute Stellungen belohnt. Der Familienälteste war automatisch der Anführer. Durch das Familiäre zusammenleben hilft man sich innerhalb der Sippe – was auch passierte. Die Hochzeiten waren arrangiert, da die Eltern, vornehmlich die Mutter die Braut ausgesucht hat. Da diese dann aufgrund der Trennung der Geschlechter im Betrieb gut miteinander auskommen mussten. Das hatte aber auch zur Folge, dass die Frauen nicht unterdrückt wurden, sondern eine zugewiesene Stellung in der Gesellschaft innehatten. Solange die Braut aber dem Mann noch keine Kinder gebar, war sie kein vollwertiges Mitglied.

Nach dem Brunnenfeldsystem wurden die Felder des Landes jeweils einer Sippe zugesprochen. Im Mittelpunkt dieser Felder befanden sich zum Teil die Wohnungen der Familien, aber auch noch ein zusätzliches Ackerfeld. Dieses war das Königsland, was von allen bearbeitet wurde und dessen Erträge als Art Steuer der Regierung übergeben wurde. Das Brunnenfeldsystem ist in der Literatur meist als ein quadratisches Feld angegeben, welches acht Sippen beherbergt und damit einen Stamm bildet. Der Stammesherrscher bildete hier die Führung. Unter den Stämmen befand sich dann ein Oberhaupt, der Himmelssohn. Auf der einen Seite Oberster Priester und auf der anderen Kaiser des Reiches, verband er den Himmel mit der Erde. Der Himmelssohn war auch der Wächter über die Fürsten, die das Land mit Hilfe ihrer Beamten und Soldaten verwalteten und bewachten. Die psychologische Denkweise entspricht diesem: Vom Einzelnen zur Familie, von der Familie zum Staat und vom Staat zur Menschheit. Wobei im Gegensatz zu den westlichen Wirtschaftssystemen hier der Blickpunkt auf der Familie und der Menschheit liegt und nicht dem Individuum und dem Staat. Hier zeigt sich schon, dass der Einzelne und vor allem der Staat keine größere Bedeutung hat.

Die Wirtschaft lässt sich in vier Stände – nicht immer trennscharf – einteilen. So ist der erste Stand der Gelehrten eng mit dem zweiten Stand der Bauern verbunden. Das verhinderte auch die Bildung einer Klassengesellschaft, die einander womöglich bekämpft hätte, da die wirtschaftlichen Interessen ja aufs engste miteinander verbunden waren. Der Stand der Bauern war auf der anderen Seite auch stark mit den Handwerkern verbunden. Denn die Bauern konnten Nahrung und Rohstoffe besorgen, Essen und Kleidung zubereiten, aber keine Werkzeuge aus Eisen herstellen. Handwerker wohnten in Städten oder wurden an einem Hof eingestellt. Der Stand der Händler wurde als die unterste gesellschaftliche Rangordnung angesehen.

Die durch die Tradition geradezu verpflichtende möglichst hohe Anzahl an Nachkommen – vornehmlich männlichen Geschlechtes – atmete schon bald in bittere Hungersnöte aus. Männliche Nachkommen waren erwünscht und eine Pflicht, da die Familie fortbestehen musste, jedoch mussten diese auch ernährt werden. Vererbt wurde den Söhnen das Land zu gleichen Teilen. Bei zwei Söhnen halbierte sich deren Anbaufläche, aber ein Feld war bereits knapp bemessen.

Die Handwerker stellten meist metallische Waren her, die sie an die Händler verkauften. Verkauft wurden aber meist nur Halbfabrikate. So wurde für den Hammer nur der Metallkopf verkauft und der Käufer musste den Stiel noch selbst einfügen. Abgesehen von religiösen Schmuckstücken waren die Produkte nicht für die Ewigkeit gemacht. Nach der Denkweise, dass es in ein paar Jahren ganz andere Verhältnisse geben wird, wurden die Produkte zwar sehr sorgfältig, zweckmäßig und vor allem möglichst genau reproduziert, aber nicht besonders solide.

Die Märkte galten als die Austauschstelle für politische und gesellschaftliche Neuigkeiten. Er diente auch Schiedssprüchen, da sich dort alle Ältesten versammelten. Durch ein gemeinsames Essen, welches dann auf Rechnung des Schuldigen ging, wurde der Streit schnell beiseitegelegt. Die Händler zogen auch umher, um ihre Waren zu verkaufen und waren nicht an ein Dorf gebunden. Ausländische Händler wurden immer von einem chinesischen Händler begleitet, der für diesen dann verantwortlich war. Meist ergab sich dann aber auch eine Kooperation dieser Händler. Das schlechte Ansehen der Händler hat sich mit der Zeit aber gewendet und heute werden die Großhändler, sowie alle Stände gleichwertig betrachtet.

Das wohl größte Problem von China ist die herrschende Überbevölkerung. Einige Chinesen wanderten nach Australien oder die USA (z.B. Chinatown in San Francisco) aus, doch die wenigsten fanden dort ihr Glück. Viele versuchten wieder nach Hause zu kommen. Man sah der Überbevölkerung auch eher gelassen entgegen. Man war dieser, wie dem Wetter sowieso Machtlos ausgeliefert. Der Einfluss der Industrialisierung war besonders in den Hauptstädten wie Shanghai dramatisch für die Chinesen. Die Amerikaner, Engländer und Japaner investierten in große Fabriken und ließen sich in den Verwaltungsetagen der Städte nieder. Die Arbeitsverhältnisse waren elend, Kinderarbeit und Arbeitszeiten von bis zu 12 Stunden waren die Regel. Der Lohn reichte gerade aus, um nicht zu verhungern. Die Chinesen begannen den Augenblick zu genießen, die Folge waren Spiel-, Alkohol- oder Drogensucht.

Obwohl die Chinesen jeher konservativ geprägt sind, wandelt sich dies durch die Industrialisierung. Das Interesse für die Moderne begann, vor allem bei den Jüngeren. Die Bauern begannen z.B. neue robustere Getreidesorten anzubauen.

An dieser Stelle wagt der Autor einen Blick nach Europa und zeigt das Aufeinandertreffen von zwei grundlegend verschiedenen Ideologien. Dem Bolschewismus (Kommunismus) und dem Italienischen Faschismus. Für China spielen beide eine Rolle. So gewinnt der Nationalgedanke eine immer wichtigere Rolle. Ein gemeinsames China, das sich gegen die ausländischen Kapitalisten zur Wehr setzen kann. Auf der anderen Seite – natürlich nicht ohne Mitwirken Russlands – bildet sich der soziale Gedanke um die Missstände der Industrialisierung zu beseitigen. Man kann von einem Mix aus Nationalismus und Sozialismus sprechen, welches das Ziel der Kuomintang wiederspiegelt, die Volksherrschaft.

Fazit

Dieses Buch sollte man aus heutiger Zeit als ein Geschichtsbuch verstehen. China hat sich in den letzten Jahrzehnten so stark gewandelt, da wäre es fatal davon auszugehen, diese Strukturen in den modernen Städten wiederzufinden. Außerdem musste ich an einigen Stellen zusätzliche Quellen lesen um den Sachverhalt zu verstehen. Altersbedingt findet sich an einigen Stellen Redewendungen und Fremdwörter die man heute nicht mehr benutzten würde. Trotz alledem machte es Spaß dieses Buch zu lesen, die Redewendungen sorgten doch eher für ein Schmunzeln im Lesefluss. Auch die damals noch kuriose Idee Wirtschaft einher mit der Psychologie zu betrachten, ist aus heutiger Sicht in Bereichen wie z.B. der des Marketing unumgänglich. Daher muss man dem Autor – auch wenn diese Idee von einem Freund kam – einen gewissen Weitblick zusprechen, welches sich beim Lesen auch an vielen weiteren Stellen bemerkbar macht.

Empfehlen kann ich dieses Buch eingeschränkt. Für jemanden der aber an der Vergangenheit von China, der Mentalität der Chinesen interessiert ist auf jeden Fall! Für mich bildet es einen guten Grundstein um Anzufangen die Chinesen in ihrer doch etwas anderen Lebensweise zu verstehen.

 

Präsentation: Chinesische Wirtschaftspsychologie

This entry was posted in China, Literature review. Bookmark the permalink.

46 Responses to China-Retrospektive: Chinesische Wirtschaftspsychologie

  1. Pingback: Karl

  2. Pingback: Marshall

  3. Pingback: ian

  4. Pingback: Brett

  5. Pingback: Clifton

  6. Pingback: jon

  7. Pingback: peter

  8. Pingback: joel

  9. Pingback: andrew

  10. Pingback: michael

  11. Pingback: jonathan

  12. Pingback: maurice

  13. Pingback: Alfonso

  14. Pingback: Terrence

  15. Pingback: vincent

  16. Pingback: edward

  17. Pingback: carl

  18. Pingback: Thomas

  19. Pingback: Fred

  20. Pingback: Randall

  21. Pingback: Justin

  22. Pingback: Tyrone

  23. Pingback: Philip

  24. Pingback: Kirk

  25. Pingback: Clinton

  26. Pingback: terrence

  27. Pingback: raymond

  28. Pingback: Jeffery

  29. Pingback: lawrence

  30. Pingback: Larry

  31. Pingback: joe

  32. Pingback: shaun

  33. Pingback: Danny

  34. Pingback: arthur

  35. Pingback: jeremiah

  36. Pingback: Stephen

  37. Pingback: Nathan

  38. Pingback: Alejandro

  39. Pingback: brent

  40. Pingback: Arturo

  41. Pingback: Paul

  42. Pingback: floyd

  43. Pingback: darren

  44. Pingback: Byron

  45. scheibnerl says:

    Hallo Sebastian,

    zu Beginn war ich etwas über deine Buchauswahl überrascht. Der Titel und Erscheinungsjahr sind doch schon etwas „speziell“ und lassen auch schon vermuten (wie du dann auch in deinem Fazit bestätigst), dass es teilweise schwierig zu verstehen sein wird. Deshalb freue ich mich umso mehr, dass du uns eine ausführliche Zusammenfassung präsentiert hast.

    Was mich persönlich an dem Buch fasziniert ist, dass der Autor bereits im Jahr 1930 mit einigen seiner Vermutungen für die Zukunft richtig gelegen hat. Der Autor sagt, dass es zu einem psychischen Umdenken der chinesischen Bevölkerungen kommen muss, wenn sich das westliche Wirtschaftssystem in China ausbreiten wird. Aufgrund der Internationalisierung und dem offenen Handel vieler Nationen heutzutage gibt es zahlreiche neue Einflüsse in Ländern und ihren Kulturen und ein Umdenken findet statt. Menschen befinden sich nicht selten zwischen Tradition und Moderne.

    An deiner Zusammenfassung gefällt mir, dass du die verschiedensten Aspekte Chinas aufgreifst. Die Informationen sind zwar nicht vollkommen neuartig für uns, dennoch stellst du noch einmal schön dar welche Entwicklungen in China Anfang des 20. Jahrhunderts stattgefunden haben und inwiefern sich diese gegenseitig beeinflusst haben (abgeschottete Wirtschaft von westlichen Einflüssen, Vermeidung von Klassenunterschieden, Rolle der Familie und Hierarchien innerhalb dieser, Handwerk, Landwirtschaft & Handel und die Überbevölkerung, welche Bekanntermaßen zur der ein-Kind-Politik geführt hat).

  46. weidenkellerm says:

    Hallo Sebastian,

    du hast dir auf jeden Fall ein etwas älteres und anspruchsvolles Werk ausgesucht, welches du im Rahmen des ASBE-Literaturforums vorstellest. Wilhelms Buch ist 1930 erschienen und beschreibt die wirtschaftlichen Anfänge Chinas, zu einer Zeit wo das Land komplett von der restlichen westlichen Weltwirtschaft abgeschirmt ist.

    Dabei ist es sehr interessant zu erfahren, welche Faktoren die wirtschaftlichen Strukturen Chinas beeinflusst haben und die Denkweise mitprägen. Es bietet ebenfalls einen guten Vergleich zu den heutigen Strukturunterschieden. Wie du in deiner Rezension beschrieben hast, hat sich das Land über die letzten Jahrzehnte so stark gewandelt, dass es kaum möglich ist, diese Strukturen in den modernen Städten wiederzufinden.

    Ich hoffe, das Buch hat dir geholfen, die chinesische Mentalität besser zu verstehen. Meiner Meinung bietet solch eine Literatur einen guten Grundstein um ein Grundverständnis der chinesischen Lebensweise zu erlangen.

Comments are closed.