Rezension: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Buchdetails
Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
Autor: Adam Johnson
Orginaltitel: The Orphan Master‘s Son
Geb.Ausgabe: 687 Seiten
Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 3 (11. März 2013)
ISBN-10: 3518464256
Preis: 22,95 € (gebundene Ausgabe), 19,95 € (E-Book)

Motivation
Im Rahmen des Medien- und Literaturforums habe ich mich für das Buch „Das geraubte Leben des Waisen Jun Do“ vom amerikanischen Autor Adam Johnson entschieden. Aufmerksam auf den Roman wurde ich durch die News, dass dieser Roman in diesem Jahr (2013) den renommierten Pulitzerpreis im Bereich Literatur gewonnen hat. Auf den ersten Blick entsteht eventuell ein Missverständnis, weil das Land meines Asienaustauschs Südkorea ist, das Buch jedoch das Leben in Nordkorea thematisiert. Ich erachtet es jedoch als sehr informativ mich näher mit der Beziehung zwischen beiden Staaten zu beschäftigen. Die Teilung des Landes hatte eine große Wirkung auf das Leben auf beiden Seiten. Die Konflikte, welche sich nach der Teilung ergeben haben sind heute aktuell und in den Medien dominant, wie nie zu vor. Da meine Recherche über die generellen Sitten und Kultur in Südkorea bereits stattgefunden hat und durch die Vorstellung vieler „Fettnäpfchenführer“ während des Medien- und Kulturforums unterstützt wurde, habe ich mich deshalb für dieses Buch entschieden.

Autor
Adam Johnson ist ein amerikanischer Autor, welcher 1967 in South Dakota geboren wurde und in Arizona aufgewachsen ist. Nach einem Journalistik- und Schreibstudium mit anschließender Promotion arbeitet und lebt der Autor heute in San Francisco und lehrt an der renommierten Stand Ford University Creative Writing. Vor seinem Bestseller „Das geraubte Leben des Waisen Jun Do“, veröffentlicht er eine Sammlung an Kurzgeschichten unter dem Titel „Emporium“ (2002) und den „Roman Parasites Like Us“ (2003)

Buchaufbau
Das Buch besitzt keine feine Einteilung in Kapitel, sondern nur eine grobe Gliederung in zwei Teile. Erster Teil: Die Geschichte von Jun Do (S. 10 – 277), Zweiter Teil: Das Geständnis des Kommandanten Ga (S. 279 – 682). Der erste Teil beschreibt das Leben des vermeintlichen Waisenjungen Pak Jun Do in der demokratischen Volksrepublik Korea. Im zweiten Teil wird die Perspektive gewechselt und der neue Erzähler ist ein Verhörspezialist der geheimen Abteilung 42. Der mächtigste nordkoreanische General Kommandant Ga wurde verhaftet und der Abhörspezialist versucht die Wahrheit zu einem Mordfall aus dem Kommandanten herauszubekommen. An vielen weiteren Stellen wird im Buch eine dritte Erzählperspektive eingestreut: Eine Stimme aus einem nordkoreanischen Propagandalautsprecher gibt regelmäßig seine propagandistische Einschätzung zu dem Verlauf der Geschichte Preis.

Klappentext
Pak Jun Do hat noch nie einen Film gesehen, kaum je ein Werbeplakat, er findet es merkwürdig, dass woanders Leute Tiere im Haus halten, und er wundert sich über Maschinen, die Geld auswerfen. Er kennt keine Ironie, keine Kunst, keine Mode und keine Magazine. Aufgewachsen im nordkoreanischen Waisenhaus Frohe Zukunft, ist er winziges Rädchen im großen Getriebe der absurd-grausamen Herrschaft des Geliebten Führers Kim Jong Il. Nur ein falsches Wort kann jeden sofort ins Lager bringen. Doch mit der Zeit beginnt Jun Do an etwas zu glauben, was stärker ist als Staatstreue: Freundschaft und Liebe. Als er die Schauspielerin Sun Moon trifft, lernt er das bedingungslose Vertrauen in einen anderen Menschen kennen. Und nur dafür lohnt es sich zu überlegen.

Wichtiger Hinweis
Bei dem Roman „Das geraubte Leben des Jun Do“ handelt es sich um eine fiktive Geschichte. Um das Leben in Nordkorea als Rahmenhandlung authentisch beschreiben zu können, hat der Autor mehrer Jahre für dieses Buch recherchiert, mit zahlreichen internationalen Experten gesprochen und Nordkorea selbst im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten für eine Woche besucht. Die Grundpfeiler der Erzählung werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auf gesicherten Fakten zu dem Staat Nordkorea basieren, die Informationen drum herum entstammen jedoch der Fantasie des Autors. Dieses ist im Sinne der künstlerischen Freiheit legitim, beim Lesen des Buches sollte jedoch berücksichtigt werden, dass die Darstellung des Staats Nordkorea durch den Autor nicht zwangsläufig der Wahrheit entsprechen muss. Auf Basis des Buches lässt sich kein gesichertes Bild des Lebens in Nordkorea zeichnen.

Inhalt: Erster Teil – Die Geschichte von Jun Do
Pak Jun Do wächst in dem nordkoreanischen Waisenhaus Frohe Zukunft auf. Eigentlich handelt es sich bei ihm um kein Waisenkind, denn er ist der Sohn des Aufsehers. Seine Mutter wurde aufgrund ihrer Schönheit in die Hauptstadt Pjöngjang entführt. Wie alle Waisenkinder trägt der Protagonist den Namen eines nordkoreanischen Martyrers, in diesem Fall Pak Jun Do. Dieser hat während des Koreakrieges auf der Seite des Nordens gekämpft, jedoch zweifelten die Obrigkeiten aufgrund zweifelhafter Familienmitglieder an seiner Loyalität. Um seine grenzenlose Loyalität gegenüber dem Staat zu beweisen, beging er Selbstmord. Das Leben eines Waisen findet unter erbärmlichen Verhältnissen statt und Waisenkinder werden dazu benutzt, gefährliche und gesundheitsschädliche Arbeiten in Fabriken und an anderen Orten zu verrichten. Da Jun Do im Gegensatz zu vieler seiner Kameraden das Leben im Waisenhaus überlebt, wird er als Jugendlicher zum Militärdienst eingezogen. Er wird dort als Tunnelkämpfer unter der DMZ eingesetzt. Dort erlernt Jun Do den Kampf in vollkommener Dunkelheit und er erhält ein spezielles Training zum Aushalten großer Schmerzen. Aufgrund seiner Fähigkeiten wird er für Spezialmissionen abkommandiert. Er muss Personen vom japanischen Festland entführen, die in Zukunft in Nordkorea Sprachunterricht geben sollen oder persönliche Geschenke für Parteifunktionäre sind. Da Jun Do auch bei dieser Aufgabe seine Treue gegenüber dem Staat beweist, wird er mit Englischunterricht belohnt und wird daraufhin auf ein Fischerboot verfrachtet, um von dort aus die internationalen Funk-Frequenzen für den nordkoreanischen Geheimdienst abzuhören. Auf dem Fischerboot erleben er und die Besetzung einige Abenteuer, u.a. werden sie von einer amerikanischen Fregatte durchsucht und Jun Do wird schwer von einem Hai verletzt. Aufgrund einer Notlüge, getätigt um das Leben der Besatzung zu retten, wird Jun Do irrtümlich zum „Held der Nation“ ernannt. Aufgrund dieser Auszeichnung wird er Teil einer nordkoreanischen Delegation, die zwecks Verhandlungen, nach Amerika, in den Bundesstaat Texas reist. Weil das Ergebnis des Staatsbesuchs den nordkoreanischen Führer Kim Jong Il nicht zufrieden stellt, landet Jun Do in einem Arbeitslager, obwohl er sein ganzes Leben für den Staat gegeben hat.

Inhalt: Zweiter Teil – Das Geständnis des Kommandanten Ga
Der zweite Teil des Buches spielt komplett in Abteilung 42, einer geheimen Verhörabteilung der koreanischen Regierung. Hier werden brutale Methoden benutzt, um vermeintlich Schuldige zu einem Geständnis zu foltern. Nur ein namenloser Mitarbeiter mit einem kleinen Team entsagt sich dieser Methoden und versucht mit Gesprächen und psychologischer Vorgehensweise den Kern der Wahrheit zu finden. Der mächtige General Kommandant Ga wird in die Abteilung gebracht, da er beschuldigt wird seine Frau Sun Moon und die beiden Kinder ermordet zu haben. Da bisher keine Leichen gefunden wurden, hat der namenlose Verhörspezialist die Hoffnung, dass die Familie noch lebt und er dem Kommandanten Ga den Aufenthaltsort entlocken kann. Weil dem Kommandanten die Aussichtslosigkeit seiner Situation bewusst ist, erzählt er in Rückblicken was seit der Inhaftierung von Pak Jun Do geschehen ist. Der Kommandant hat vor einem Jahr in seiner Funktion als Bergwerksminister das Arbeitslager von Jun Do besucht, weil dort Uran gefunden wurde. In einem Tunnelschacht, in welchem Jun Do dem Kommandanten das Uran zeigen soll, startet Ga einen homosexuellen Übergriff auf Jun Do. Dieser kann den Kommandanten im Schutz der Dunkelheit des Tunnels töten. Als einzigen Ausweg aus der Situation, zieht Jun Do die Uniform des toten Kommandanten an und stiehlt im seine Identität. Da von Nordkoreanern blinder Gehorsam gegenüber dem ranghohen Militär verlangt wird, gelangt es Jun Do tatsächlich aus dem Bergwerk nach Pjöngjang zu fliehen. Bei einem Aufeinandertreffen bemerkt der Führer Kim Jong Il natürlich den Identitätsdiebstahl, weil der echte Kommandant Ga allerdings aufgrund seiner steigenden Macht zu einer Bedrohung für das Staatsoberhaupt wurde, kommt ihm dieser Personenaustausch recht gelegen. Da der Führer diesen offensichtlich Schwindel nicht als solchen demaskiert, sind die anderen Generäle ebenfalls gezwungen Jun Do als neuen Kommandanten Ga zu akzeptieren. Auch Gas Frau muss bei dieser Maskerade mitspielen und es entwickelt sich nach mehreren Monaten sogar eine Liebesbeziehung zwischen Jun Do und Sun Moon. Pak Jun Do baut sogar eine emotionale Bindung zu den zwei Kindern auf. Der Führer Kim Jong Il beauftragt Jun Do / Kommandant Ga einen Staatsbesuch der Amerikaner vorzubereiten. Weil Jun Do im Laufe seines Lebens den Schrecken erlebt hat, der vom nordkoreanischen Staat ausgeht, will er seiner Liebe Sun Moon und den Kindern ein anderes Leben ermöglichen. Bei dem Staatsbesuch der Amerikaner kann er Kim Jung Il ablenken und Sun Moon kann mit ihren Kindern in dem Flugzeug der Amerikaner versteckt werden. Ihnen gelingt die Flucht und Jun Do wird festgenommen und in die Abteilung 42 gebracht. Durch die Erzählungen der Grausamkeiten des nordkoreanischen Staats gerät das Weltbild des Verhörspezialisten ins Wanken. Er ermöglicht Jun Do Selbstmord zu begehen und töten sich danach (fast) selbst.

Fazit/ Persönliche Stellungnahme
Der Roman „Das geraubte Leben des Waisen Jun Do“ bietet eine interessante Story, welche sich nur schwierig ein eine Gattung einteilen lässt. Er enthält zahlreiche Elemente aus dem Bereich der Tragödie und des Dramas, bietet aber auch humorvolle Stellen und eine umfangreiche Liebesgeschichte. Der Autor führt zahlreiche Charaktere in die Geschichte ein und bietet somit einen umfassenden Einblick in das Leben in Nordkorea (so wie er sich dieses vorstellt). Auch wenn es sich um eine fiktive Geschichte handelt, motiviert das Buch den Leser sich mehr über das Land Nordkorea zu informieren. Das Buch besitzt jedoch auch einige erwähnenswerte Schwächen. Die Perspektivenwechsel, zahlreiche Rückblenden und der Verzicht auf viele Erklärungen zu einigen Zusammenhänge macht den Roman stellenweise sehr verwirrend. Die hohe Anzahl und die Komplexität der Motive, mit denen der Autor Nordkorea und die Mentalität der Menschen beschreibt, können den Leser zudem schnell überfordern.
Auch wenn das Buch nicht frei von Schwächen ist, kann ich es uneingeschränkt empfehlen, weil die verschiedenen Angriffspunkte und viele kontroverse Szenen viel Raum für Diskussionen und Meinungsaustausch bieten.
Für meinen Asienaustausch kann ich aus dem Roman nur sehr wenig mitnehmen. Die Beziehung zwischen dem Süden und dem Norden wird leider kaum thematisiert. Über das Land Nordkorea konnte ich durch das Buch und meine folgende Recherche viel lernen. Ob mein Bild von Nordkorea allerdings an die Wirklichkeit herankommt, kann ich nicht beantworten. Eventuell kann mein Semester in Südkorea mehr Licht ins Dunkel bringen. Allerdings hat mir der Roman geholfen, persönlich mehr Wertschätzung gegenüber dem Austauschprogramm zu entwickeln. Die Geschichte von Jun Do führt vor Augen, dass auch zur heutigen Zeit junge Menschen keine Chance auf eine umfassende und weltoffene Bildung haben. Ihnen wird zudem die Möglichkeit genommen andere Länder zu bereisen und fremde Kulturen kennen zulernen. Dinge, welche wir als selbstverständlich erachten sind ein Ding der Unmöglichkeit für die Opfer eines repressiven Regimes, wie in Nordkorea.

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