Romanrezension “Der Traum meines Großvaters – Yan Lianke” von Ann-Kathrin Fritze

Der Traum meines Großvaters – Yan Lianke

Buchrezension von Ann-Kathrin Fritze im Rahmen des Literaturforums des ASBE Programmes

Motivation

Auf Empfehlung der Bibliothekarin des Bochumer Landesspracheninstituts nahm ich mir den Roman Der Traum meines Großvaters von Yan Lianke zur Hand. Geschichtlicher Hintergrund, ein Gesundheitsskandal, Trauer und Liebe, zudem in China auf der schwarzen Liste, diese Faktoren sprachen für interessante und spannende Stunden mit dem Roman. Des Weiteren hatte ich noch nie ein Werk von einem chinesischen Autor gelesen, sodass mich der Stil im Gegensatz zu westlichen Autoren interessierte, zudem Yan Lianke als ein angesehener Gegenwartsautor angepriesen wurde.

Kurzinformation

Titel:       Der Traum meines Großvaters (chin: 丁庄梦 – Ding zhuang meng)

Autor:     Yán Liánkē

Übersetzung: Ulrich Kautz, mit Mitteln des Auswärtigen Amtes unterstützt durch litprom – Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V.

Erscheinungsjahr 1. Auflage Februar 2011 (2009 gebunden)Verlag List Taschenbuch (Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin)

Genre: Historischer Roman

ISBN: 978-3550087493

Seitenanzahl: 364

Preis: 9.95 € (gebunden 22,90 €)

In China wurde die fertig gedruckte Version kurz vor Veröffentlichung von seinem chinesischen Verlag zurückgezogen, da es „der Ehre des Landes abträglich“ sei. Somit wurde  der Roman von der chinesischen Regierung auf die schwarze Liste gesetzt und ein Redeverbot verhängt. Jedoch wurden vorab schon einige zehntausend Exemplare aus dem Werk verkauft, was in Anbetracht Chinas Bevölkerung nur ein geringer Bruchteil ist. In China selbst gab es eine allgemeine große Erschütterung über die Aufdeckung des Gesundheitsskandals, jedoch wurde das verhängte Redeverbot von keinem einzigen Kritiker oder Schriftstellerkollegen missachtet. In den übrigen chinesisch-sprachigen Ländern und zum Beispiel in Japan, Korea und Frankreich wurde der Roman sehr positiv aufgenommen und ihm die verdiente Aufmerksamkeit gewidmet.

Autor

Yan Lianke wurde 1958 in der ostchinesischen Provinz Henan geboren. Im Alter von 20 trat er der Volksbefreiungsarmee bei und schloss sein Studium in Literatur ab. Yan Lianke ist Träger des Lu-Xun-Literaturpreises, den Lao-She Preis bekam er für seinen Roman Shòu huó – Ernte. Seine Romane erregen seit Erscheinung immer wieder Aufruhr in China, da die Inhalte soziologische und politische Problematiken aufgreifen. Der Traum meines Großvater und auch Dem Volke dienen stehen seit Jahren auf dem chinesischen Index. Zurzeit lebt er in Beijing.

Geschichtlicher Hintergrund

Anfang der 90er Jahre entstand in China, insbesondere in Henan ein Netzwerk von hunderten offiziellen und inoffiziellen Blutzentren um den Markt mit Blutplasma zu versorgen. Es war gehende Praxis, Nadeln weiter zu benutzen und vorab keine Bluttests zu machen. Insbesondere Bauern infizierten sich und fälschten Ausweise um öfters Blut zu lassen um ihr Einkommen aufzubessern. Als 1995 die Verbreitung von HIV zu einem neuen Höchststand gelangt, werden die Zentren geschlossen. Die chinesische Regierung überlässt die Betroffenen ihrem Schicksal ohne Aufklärung zu betreiben. Insbesondere in den ländlichen Gebieten entstehen sogenannte „Totendörfer“. Erst ab 2000 nimmt China auch öffentlich Stellung zur Ausbreitung von HIV und leitet Präventionsprogramme ein. Die Zahl der HIV Infizierten wird in China auf 740,000 bis zu 1.5 Millionen (Unaids, 2010) geschätzt, in Anbetracht Chinas Größe sind dieses nur 0.1% unter der erwachsenen Bevölkerung.

Inhaltangabe

Die Geschichte beginnt dramatisch. Der Erzähler der Geschichte, der 12 jährige Junge Quiang wird von den Dorfbewohnern Dingzhuangs (Provinz Henan) vergiftet, da diese sich für die Taten seines Vaters Ding Hui rächen wollen und stirbt. Quiang sucht seinen Großvater Lehrer Ding in dessen Träumen auf, wodurch er Vorahnung auf die Geschehnisse bekommt. Der Großvater ist auf der einen Seite das Bindeglied in der Geschichte, er vereint den auf die Dorfgemeinschaft bezogenen Teil und den Bereich der Familie. Aber auf der anderen Seite ist er auch die tragische Person in dem Roman, die versucht zwischen diesen beiden Parteien zu vermitteln und zu agieren.

Großvater Dings persönliche Tragödie beginnt damit, dass sein ältester Sohn und Vater des Ich-Erzählers zum erfolgreichsten Blutchef aufsteigt, wodurch der Gräuel der Dorfbewohner immer größer auf die Familie wird und sein Enkel getötet wird. Auch die Bitte des Großvaters einen öffentlichen Kotau zu machen, weißt Hui zurück, er sieht keine Schuld und handelt im Sinne der Gemeinschaft, denn alle profitieren finanziell von den Blutspenden.Nachdem mehr und mehr Bewohner erkranken, wir ein Infiziertenlager in der Schule errichtet, jeder trägt seinen Teil, wie er es noch leisten kann, zum Gemeinschaftswohl bei. Doch der Versuch von Menschlichkeit und gegenseitiger Hilfe scheitert an der Missgunst und Gier, die selbst noch bei den Totgeweihten vorherrscht. Ein Beispiel dafür ist auch die Liebesgeschichte von Ding Liang, Lehrer Dings jüngstem Sohn. Der selbst noch Verheiratete beginnt in der Schule eine Affäre mit der infizierten Lingling, die die Ehefrau seines Vetters ist, aber von diesem nach Ausbruch der Krankheit weggeschickt wurde. Neider verraten die beiden und sie werden vorgeführt, wodurch ihre Bindung und Liebe nur noch stärker wird und schließlich in einer Heirat und dem Tot endet.

Ding Hui, aufgestiegen durch den Handel mit Blut, entdeckt nun für sich das Geschäft mit den Särgen. Von der Regierung bekommt er Särge für jeden Toten im Dorf, doch diese verteilt er nicht ordnungsgemäß, sondern verkauft sie weiter an Kranke in anderen Dörfern. Ein lukratives Geschäft, so dass er durch den Gewinn in die Stadt ziehen kann. Nach dem Abflauen des Geschäft entwickelt er eine neue Geschäftsidee: Totenehen. Unverehelichte Gestorbene können im Nachhinein verheiratet werden. Seine Machtbesessenheit spitzt sich zu als er seinen eigenen toten Sohn ausgraben lässt um ihn mit der viel älteren, hinkenden, toten Tochter eines Regierungsvertreters zu verheiraten.

Die tragische Figur in dem Stück ist Quiangs Großvater, Lehrer Ding. Er versucht über den ganzen Roman das Gesicht der Familie zu retten. Er verliert das Ansehen in der Schule, wird von seinen alten Schülern benutzt und erpresst und wird schließlich zum Hausmeister degradiert. Bußegänge und  seine Bemühung zu vermitteln scheitern, Arrangements um die Ehe von Liang und Lingling rechtskräftig zu machen und das Gesicht der Familie zu wahren, kommen nur nach bitteren Einbußen seinerseits zu tragen. Doch gegen die Vergehen seines ältesten und machtbesessenen Sohnes Hui kann er nichts tun. Die letzte Verfehlung die Totenheirat bringt Großvater Ding schließlich dazu seinen Sohn Hui mit einem Ast zu erschlagen.

Fazit

Der Roman ist sehr nüchtern aus der Sicht des 12 Jährigen Jungen Quiang erzählt. Viele Rezensenten  unterstreichen dieses als Direktheit und finden den unpathetischen Schreibstil besonders ansprechend.  Nach meinem Empfinden entwickelt sich dadurch aber keine Verbindung zwischen Leser und Protagonisten, wodurch es dem Verlauf und insbesondere der Liebesgeschichte an Dramatik und Spannung fehlt. Jedoch bilden die eingeschobenen Träume eine gute Abwechslung, denn diese sind voll von Symbolen und metaphorischen Wendungen und speziell bei der Ausgrabung des Sarges entwickelt sich dadurch doch noch etwas Dynamik. Jedoch wartet man vergeblich auf einen Höhepunkt, einzig und allein die Tragik des Großvaters lässt rückblickend bestimmte Situationen drängender erscheinen. Da der Roman auf wahren Begebenheiten basiert, hätte man einen kritischeren Ton gegenüber den politischen Regulierungen erwartet, jedoch bleibt das Geschehen auf einer eher moralischen Ebene. Daraus resultiert auch, dass das Ende kein „Happy End“ ist, sondern die Protagonisten in ihrem Elend untergehen und sogar die um Tugend bemühteste Person des Romans, Großvater Ding, seine letzte Moral verlieren.

 

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