Buchrezension: “Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki”

Bild1Buchdetails

Titel: Die Pilgerreise des farblosen Herrn Tazaki

Autor: Haruki Murakami

Genre: Belletristik

Erscheinungsjahr: 2013 (Erstauflage)

Seitenanzahl: 318

Verlag: btb

ISBN: 978-3-442-74900-3

 

Motivation

Als großer Liebhaber zeitgenössischer Belletristik, fiel meine Wahl auf Haruki Murakamis bisher letztes Werk „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“. Vor allem der Bekanntheitsgrad des Autors, der so gut wie jedes Jahr als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt wird, hat zu dieser Entscheidung beigetragen. Und dennoch war es nicht sein Bekanntheitsgrad allein, sondern auch der Einfluss „westlicher Elemente“ in Komposition mit der traditionellen japanischen Art und Weise, die seine Werke für mich so anziehend machten. Denn jenes Aufeinandertreffen unterschiedlichster Lebensstile, werde ich angesichts meines Japansemesters hautnah miterleben. So bekam ich bereits erste Eindrücke in die Lebensart der Japaner und deren Einflüsse, sowohl in moderner als auch in traditioneller Hinsicht.

 

Der Autor

Haruki Murakami wurde 1949 in Kyoto als Sohn eines Lehrerpaares, welches japanische Literatur unterrichtete geboren. Entgegen der Richtung seiner Eltern, interessierte sich Murakami jedoch früh für westliche Literatur, was sich wie bereits eingangs erwähnt, in seinen Werken wiederspiegelt. Im Jahre 1968, begann er das Studium der Theaterwissenschaften an der Waseda-Universität in Shinjuku (Tokio), welches er im Jahre 1971 abschloss. Im Anschluss eröffnete er eine Jazz-Bar unter dem Namen „Peter Cat“, die er bis 1982 betrieb. Seine ersten Schreibversuche datieren laut eigener Aussage aus dem Jahr 1978. Zu seinen bekanntesten Werken zählen unter anderem „Naokos Lächeln“ sowie „Gefährliche Geliebte“. Über seine schriftstellerische Tätigkeit hinaus, ist Murakami unter anderem mit der Übersetzung bekannter amerikanischer Literaten wie  Fitzgerald, Irving oder Capote beschäftigt, ein Ausdruck seines großen Interesses für westliche Literatur.

 

Die Handlung

Seine Liebe zu der eleganten und attraktiven Sara Kimoto, veranlasst den 36-jährigen  Tsukuru Tazaki dazu auf Spurensuche in seiner Vergangenheit zu gehen, um ein längst verdrängtes Ereignis aufzuklären welches ihn bisher wie kein zweites geprägt hat.

Als Teil einer wohlhabenden Mittelstandsfamilie verbringt Tsukuru seine frühen Jahre in Nagoya. An der dortigen Schule, schließt er Freundschaft mit den Jungen Kei Akamatsu (Aka) und Yoshio Oumi (Ao) sowie den Mädchen Eri Kurono (Kuro) und Yuzuki Shirane (Shiro). Die Charaktere könnten unterschiedlicher kaum sein und dennoch bilden alle fünf eine Einheit und es gibt kaum etwas was sie getrennt voneinander unternehmen. In der Schulzeit engagieren sie sich in einer Art Nachhilfegruppe für die Schüler der unteren Klassen.

Der Schulabschluss führt sie daraufhin auf unterschiedliche Wege, während Tsukuru ein Ingenieursstudium in Tokio beginnt, bleiben die Anderen in Nagoya um ihren unterschiedlichen Interessen nachzugehen. Für Tsukuru stellt die somit entstandene Distanz kein Problem dar, auch wenn er sich dadurch ein wenig ausgegrenzt fühlt. Wann immer es möglich ist, besucht er seine Freunde in Nagoya, um an den alten Ritualen festzuhalten.

Doch in seinem zweiten Studienjahr kommt es zu einem folgenschweren Eklat. Wie sonst auch immer, ist Tsukuru zu Besuch in Nagoya und dabei seine Freunde aufzusuchen. Diese sind jedoch nicht auffindbar und auch von den Eltern bekommt er keine genauen Informationen. Zuletzt erreicht er schließlich Ao, der ihm in einem Gespräch darum bittet, nun nicht mehr anzurufen und jeglichen Kontakt mit den Anderen abzubrechen. Nach Aos Angaben wüsste Tsukuru genau um was es geht, dieser jedoch ist durch diese folgenschweren Worte wie starr und bringt kaum ein Wort über die Lippen. Das Ende des Gesprächs markiert schließlich den Anfang einer sehr langen und für ihn prägenden Krise, deren Folgen bis in die Gegenwart seines 36-jährigen Ichs reichen und auch an seiner Liebschaft Sara nicht vorbeigehen.

Am Anfang sowie zur Mitte des Romans etwa, wird Tsukurus Zeit an der Universität in Tokio durchleuchtet. Hierbei liegt der Fokus auf seiner Bekanntschaft mit dem Physikstudenten Fumiaki Haida (Haida). Dieser füllt seinen bisher grauen und tristen Alltag mit Leben. Sie teilen gemeinsame Hobbys, führen philosophische Gespräche über das Leben und Tsukuru kommt durch Haida in Kontakt mit dem Stück „Le mal du pays“ (dt.:Heimweh) aus dem Gesamtwerk „Années de pèlerinage“ (Pilgerjahre) von Franz Liszt, welches dem Roman seinen Namen gibt. Gen Ende seines Studiums verschwindet dieser jedoch ganz plötzlich aus seinem Leben.

Zurück in der Gegenwart, stellt Sara Tsukuru vor die Wahl. Entweder er geht der Ursache des Bruchs mit seinen Freunden nach oder sie wird den Kontakt zu ihm abbrechen. Wie bereits oben erwähnt, ist auch sie von den Wunden seiner Vergangenheit betroffen und hat das Gefühl dass er nicht mehr er selbst sei. So macht sich Tsukuru auf die Suche und stellt sich den Dämonen seiner Vergangenheit.

Im Vorfeld seiner Recherchen erfährt Tsukuru, dass Shiro im Alter von 28 Jahren unter mysteriösen Umständen in ihrer Wohnung verstarb. Tsukuru begibt sich nach Nagoya um Aka und Ao aufzusuchen, diese führen inzwischen ein äußerst erfolgreiches Berufsleben, der eine als Unternehmensberater und der andere als Verkäufer von Lexuswagen. Tsukuru stellt zu seiner Verwunderung fest wie sehr sich beide im Vergleich zu früher verändert haben. Wider seiner Erwartungen, stößt er bei ihnen auf einen sehr freundlichen Umgang, und Ao ist es schließlich der ihm das Motiv des Bruchs erklärt. Treibende Kraft hinter dem Ereignis war Shiro. Diese hatte den anderen sehr detailliert  beschrieben, wie Tsukuru sie während eines Besuchs in Tokio nach einem Konzert vergewaltigte. Trotz vieler Zweifel, zogen es die anderen drei (Aka, Ao und Kuro) letztlich durch, da Shiro nicht von ihrer Version abrückte und sie der Meinung waren dass Tsukuru einen Verlust der Freundschaft eher aushalten würde als die sensible und leicht zerbrechliche Shiro. Seine letzte Reise führt ihn schließlich zu Kuro nach Finnland, die dort ein Leben als Töpferin samt Ehemann und Kindern führt.  Auch hier ergeben sich Tsukuru einige verwunderliche Kenntnisse und er erfährt noch ein wenig mehr über die Umstände von Shiros Tod und deren damalige Lebenslage. Freundschaftlich gehen beide am Ende auseinander, sowie in den Fällen zuvor. Tsukuru begibt sich daraufhin wieder nach Tokio und fühlt dass er nun endlich Frieden mit seiner Vergangenheit gemacht hat.

Seine letzten Gedanken vor Ende des Romans, kreisen um die Vergangenheit, die er nun in einem anderen Licht sieht, auch ist er bereit Shiro zu verzeihen. Seine Welt dreht sich von nun an ausschließlich um Sara, die er nun endgültig für sich gewinnen will und die er noch in der Nacht seiner Ankunft erfolglos versucht zu erreichen.

 

Analyse/ Fazit

„Die Pilgerjahre des farblosen Tazaki“ weisen wie so viele andere seiner Werke, die typische Murakami-Handschrift auf. So ist das Buch geprägt durch Elemente der Popkultur wie etwa dem Stück „Le mal du pays“ von Franz Liszt, welches ein Gefühl von Traurigkeit durch das tiefe Bedürfnis nach der Heimat erzeugt. Damit drückt das Stück Tsukurus innere und weite Sehnsucht nach den alten Freunden aus. Auch das Surreale in Form von Sexfantasien oder Alpträumen, findet sich im Roman wieder und geht an manchen Stellen nahezu nahtlos ineinander über, sodass es dem Leser schwer fällt zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Diese sozusagen „Fußabdrücke“ Murakamis, machen den Roman originell und einzigartig, vor allem wenn man zuvor noch keinen Roman von ihm gelesen hat.

Einen weiteren wichtigen Aspekt des Romans stellt die Bedeutung der Farben innerhalb der Namen dar. Allein die Tatsache dass Tsukuru keine Farbe in seinem Namen enthält, gibt ihm von Anfang an das Gefühl einer gewissen Minderwertigkeit gegenüber seinen Freunden und er fühlt sich abgehängt beziehungsweise nicht zugehörig. Der spätere Bruch mit seinen Freunden, erscheint ihm vor diesem Hintergrund nur allzu plausibel. Ferner sagen die Farben auch etwas über die Charakterzüge und Schicksäle der einzelnen Charaktere aus, Aka bzw. „Herr Rot“ ist sehr emotional, Ao bzw. „Herr Blau“ sehr ruhig und gelassen, während Shiro bzw. „Frau Weiß“ die Farbe des Todes (in Japan) trägt.

Fernab der literarischen Besonderheiten, konnte ich jedoch auch erste wenn auch nur leichte Einblicke in die japanische Gemütswelt gewinnen. So erkennt man an manchen Stellen die Konsequenzen unterdrückter Gefühle und Leidenschaften die sich beim Protagonisten in Form von Sexfantasien äußern. Zudem offenbart sich ihm Kuro und lässt ihn wissen dass sie in ihrer Jugend in ihn verliebt war, was Tsukuru wiederum sehr überrascht. Die mangelnde Offenheit gegenüber seinen Freunden, gab ihm somit über Jahre hinweg ein falsches Selbstbild, was sich jedoch erst bei der Aufarbeitung seiner Vergangenheit zeigt. An dieser Stelle übt der Autor leise Kritik an der traditionellen asiatischen Umgangsform, die darauf aus ist „nicht sein Gesicht zu verlieren“.

Insgesamt sind „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ ein sehr empfehlenswerter Roman, der in seiner Darstellungsart sehr originell und einzigartig ist. Für alle, die nach Abwechslung in den großen Weiten der Weltliteratur suchen, ist Murakami ein Autor an dem man nicht vorbeikommt.

This entry was posted in Generals. Bookmark the permalink.

4 Responses to Buchrezension: “Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki”

  1. Jasmin says:

    Hallo Hendrik,

    auch ich möchte einen Kommentar zu deiner Rezension abgeben. Ich finde es sehr schön, dass du ein Buch des japanischen Bestsellerautors Haruki Murakami gewählt hast, der sich durch seinen besonderen Schreibstil mit surrealen Elementen und durch westliche Einflüsse in seinen Werken auszeichnet. Auch diesmal verbindet er das Buch mit einem westlichen Lied, dem Stück „Le mal du pays“ aus dem übersetzen Gesamtwerk „Pilgerjahre“.

    Darüber hinaus hatte ich mich über die Umschreibung eines „farblosen“ Herrn Tazaki im Titel gewundert. Durch deine ausführliche Erläuterung wurde mir aber auch dies erklärt. Ich finde es sehr interessant, wie Murakami hier mit den Namen in Form von Farben spielt, die ebenfalls die jeweiligen Charakterzüge der Personen wiederspiegeln.

    Das Buch scheint mir ein melancholisches Werk über Zurückweisung, Einsamkeit aber auch Hoffnung auf Freundschaft zu sein. Ich war sehr verwundert, wie es zu dem Bruch der Clique kam und noch überraschter war ich über die Reaktion der Freunde dies einfach direkt zu glauben. Ich bin schon sehr gespannt darauf, den wahren Grund der Vergewaltigungsanschuldigung von Shiro zu erfahren. Auch das offene Ende gibt viel Spielraum zur eigenen Interpretation.
    Vielen lieben Dank nochmal für diese gelungene Buchauswahl!

    Viele Grüße,
    Jasmin

  2. MadeleineH says:

    Hallo Hendrik,

    vielen Dank für Deine Rezession. Mit Deinen geschriebenen Worten hatte ich die Möglichkeit, obwohl ich leider an Deiner Präsentation nicht teilnehmen konnte, das Buch in seiner ganzen Breite kennen zu lernen.

    Dabei hat mich schon das Cover sehr fasziniert. Erst bei einem längeren Anblick ist mir aufgefallen, dass in dem Bild eine Libelle versteckt ist. Da hat sich der Autor ein sehr raffiniertes Detail ausgedacht. Nachdem ich dies entdeckt hatte, war ich umso gespannter, bei Deiner Rezession den Hintergrund des gewählten Buchcovers näher auf den Ursprung zu gehen.

    Beim Lesen Deiner Rezension haben mich Deine geschriebenen Worte mit voller Spannung gepackt, so dass ich wissen wollte, welches Ereignis Tsukuru die Worte verschlagen haben und wie das Ereignis mit seinen Freunden sowie seiner gegenwärtigen Geliebten Sara im Einklang ist.

    Erschreckend fand ich die Information, dass Tsukuru Shiro vergewaltigt habe und trotz der Unstimmigkeiten auf diese Wahrheitsaussage die Freunde einen Bruch der Freundschaft bevorzugen, ohne dabei Tsukuru über diese Beschuldigung zu fragen. Nur frage ich mich, warum die Suche nach Sara erfolglos war, wo Tsukuru nun Licht in seine Vergangenheit bringen konnte und einer gemeinsamen Zukunft nichts mehr
    im Wege stand?

    Besonders beeindruckt war ich von Deiner Analyse und Fazit, indem Du mir neue Perspektiven aufgezeigt hast und mir der farblose Tsukuru noch einmal bildlich vor Augen geführt wurde. Auch Deine analytische Fähigkeit, die Intention des Autors heraus zu filtern und Dein Schreibstil haben mir sehr gefallen.

    Es hat mir eine große Freude bereitet, Deine Rezension zu lesen und bedauere es sehr, persönlich nicht anwesend gewesen zu sein.
    Bei weiteren Rückfragen bin ich selbstverständlich jederzeit für Dich erreichbar.

    Liebe Grüße,
    Madeleine

  3. Ünzile Gürsoy says:

    Hallo Hendrik,

    Vielen Dank für deine Rezension. Weil ich deine Buchauswahl sowie den Autor Haruki Murakami sehr interessant finde, wollte auch ich zu deiner Rezension einen Kommentar schreiben. Der Autor dieses Buches ist renommiert und auch der einzige Japanische Autor den ich kenne. Sein Schreibstil ist sehr besonders, und gibt seinen Romanen das gewisse Etwas. Das Genre Belletristik ist für mich auch neu, deshalb war deine Rezension eine gute Gelegenheit für mich mir über diesen Stil einen Eindruck zu verschaffen. Was ich direkt bemerke und was auch sehr erstaunlich ist, ist dass der Autor bestimmte Stilmittel wiederholend in seinen Romanen verwendet. Ein Beispiel ist der Bezug auf ein Lied, meistens ein westliches Lied, was gleichzeitig Bezug auf die Handlung hat. Ein weiteres Beispiel sind surrealistische Elemente, die den Schreibstil Murakamis prägen. Die Handlung wirkt auf mich komplex, weil der Roman viele verschiede Charaktere beinhaltet und zwischen Vergangenheit und Gegenwart springt.
    Dennoch eine gute Auswahl. Ich bin mir sicher, dass dieser Roman eine gute Leseerfahrung für dich war.

    Liebe Grüße,
    Ãœnzile.

  4. Mehmet Emin says:

    Hallo Hendriku-San,
    Zunächst einen sehr großen Dank für die Rezension und für den ersten detaillierten Einblick in Murakamis Werk “Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki”.
    Zugegebenerweise bin ich kein „großer Bücherwurm“ und habe zuvor kein Murakami Werk gelesen – Shame on me!. Jedoch hat mich die Story sehr begeistert, sodass ich gerne ein Werk von ihm lesen würde. Insbesondere die versteckte Kritik an die Umgangsform fand ich sehr interessant.
    Für mich persönlich stellte sich immer die Frage, wie intensiv / offen eine Freundschaft überhaupt sein kann, wenn man ständig auf Höflichkeiten achten bzw. kulturgeprägte Verhaltensweisen einhalten muss. Denn meiner Meinung nach sollte man seinen „wahren“ Freunden alles sagen / erzählen können auch wenn man hier und da einen „Verhaltenskodex“ bricht. Die Beziehung Tsukurus zu seinen Freunden und die Kenntnisse, die Tsukuru erst Jahre später über jene Freunde erfährt, verdeutlicht sehr gut, wie sehr Verhaltensmuster wie z.B. „das Vermeiden des Gesichtsverlusts“ verhindernd für eine innige Beziehung sein können.
    Aus „westlicher“ Sicht ist man offener und hätte viele Probleme und Gefühle direkt ausgesprochen.
    Daher find ich Murakamis Kritik sehr passend und zugleich erstaunlich, dass er sich diesem Problem der Gesellschaft stellt.
    Alles in allem eine sehr gelungene Rezension, welche meine Neugierde definitiv geweckt hat.

Comments are closed.