Buchrezension: Tod einer roten Heldin

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Buchdaten:
Titel:  
                           Tod einer roten Heldin

Originaltitel:              Death of a Red Heroine

Autor:                            Qiu Xiaolong
Verlag:                           dtv Verlagsgesellschaft

Erscheinungsjahr:    2000 (USA), 2003 (Deutschland)

Umfang:                        464 Seiten

ISBN:                              978-3-423-20740-9

Preis:                              9,95€

 

Motivation:

Da ich mein Auslandssemester in Shanghai absolviere und mich für Kriminalromane interessiere, suchte ich in erster Hinsicht ein Krimibuch, dass in Shanghai spielt. Zuvor hatte ich keine Bücher gelesen, deren Handlung in China stattfand, was dazu führte, dass ich aufgrund von Online-Empfehlungen, die „Tod einer roten Heldin“ als sehr informativ im Bezug auf Chinas Kultur und Geschichte beschrieben, dieses Buch ausgewählt habe. Als weiterer Grund diente der poetische Charakter des Buches, der von vielen Lesern als niveauvoll und ausdrucksstark beschrieben wurde. Bei meiner Suche war mir ebenfalls sehr wichtig, dass der Autor sehr viele Erfahrungen mit China hatte, da ich es als wichtig empfand, Beschreibungen der Kultur aus erster Hand zu erfahren, was bei dem Autor dieses Buches zutraf.

Autor:

Qiu Xiaolong wurde 1953 in Shanghai geboren und wuchs in Shanghai auf. Während der chinesischen Kulturrevolution, welche zwischen 1966 und 1976 stattfand und vom damaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Chinas, Mao Zedong, ausgelöst wurde, war es üblich, junge Chinesen zur „Umerziehung“ (Indoktrination) auf das Land zu schicken. Dieser Verschickung konnte Qiu Xiaolong aufgrund einer starken Bronchitis im Alter von 16 Jahren entgehen. Da während der Kulturrevolution die Schulen geschlossen und Englisch-Lehrbücher nicht erhältlich waren, brachte er sich die englische Sprache mit Hilfe übersetzter Mao Zitate bei. Dies führte auch dazu, dass er nach dem Ende der Kulturrevolution mit einem Engisch- und Literaturwissenschaftsstudium begann. Während dieses Studiums verdiente er Geld, indem er Gedichte und US-amerikanische Kriminalromane ins Chinesische übersetzte und als Lyriker tätig war.

Mit Hilfe eines Stipendiums der Ford Foundation entschloss er 1988 in die USA zu reisen und in St. Louis, der Stadt, in welcher der US-amerikanische Lyriker T. S. Eliot geboren wurde, zu studieren. Nach dem Tian’anmen-Massaker, das sich 1989 am Platz des Himmlischen Friedens in Peking ereignete, entschloss er sich, weiterhin in den USA zu bleiben und somit nicht nach China zurückzukehren.

Seit 1994 wohnt er in St. Louis und lehrt an der Washington University chinesische Literatur und Sprache. Nachdem er 1995 das erste Mal seit seiner Ankunft in den USA nach Shanghai zurückgekehrt war, kam er unter anderem zu dem Beschluss, die in Shanghai spielende Inspektor Chen Cao Kriminalroman-Reihe zu schreiben.

Inhalt:

„Tod einer roten Heldin“ ist ein mit politischen und poetischen Aspekten geschmückter Kriminalroman. Die Handlung ist in Shanghai in den frühen 90er Jahren angesetzt und erzählt die Geschichte von Oberinspektor Chen Cao, der als ehrbarer Polizeibeamter die Spezialabteilung innerhalb der Mordkommission der Shanghaier Polizei leitet und nebenbei als Lyriker und Übersetzer von Büchern ins Chinesische tätig ist. Diesem wird nachdem die Leiche einer jungen Frau aus einem Kanal in der Nähe von Shanghai geborgen wird, welche sich später als nationale Modellarbeiterin und somit als Prominente herausstellt, die Aufgabe erteilt, ihren Mord zu lösen.

Am Anfang der Ermittlungen stößt er mit seinem Hauptwachmeister und Kollegen Yu Guangming auf Komplikationen, da die Identität der Leiche zunächst nicht bestätigt werden kann. Diese wird später jedoch als Guan Hongying, Leiterin einer Kosmetikabteilung und hoch angesehenes Mitglied der Kommunistischen Partei (deswegen „Rote Heldin“), identifiziert, welche durch ihre Leistungen als Modellarbeiterin und ihre politischen Aktivitäten als Vorbild für das Volk gedient hatte. Dies führt dazu, dass sich aufgrund möglicher negativer politischer Auswirkungen nicht nur Chens Vorgesetzter Li Guohua, sondern auch politische Instanzen in die Ermittlungen einmischen.

Im Laufe des Falles fangen Chens und Yus Privatleben unter dem Druck der Behörden an zu leiden, da die Beiden, um ihre Ermittlungen fortsetzen zu können, gegen ihre eigenen Arbeitgeber und Parteivertreter ankämpfen müssen. Diese möchten nämlich das positive Image der Kommunistischen Partei um jeden Preis wahren. Als Indizien darauf hindeuten, dass ein Mitglied des hohen Kaders, also eine Person im hohen politischen Kreise, in den Mord involviert sein könnte, verschärfen sich die Ermittlungen und der Druck auf die Spezialabteilung umso mehr. Da Inspektor Chen nicht nachgibt und weiterhin ermittelt, wird ihm zum Beispiel aufgrund einiger seiner in Zeitungen veröffentlichter Gedichte ein sogenannter westlich-dekadenter Lebensstil hinterhergesagt. Jener galt in den 90er Jahren in China als höchst verwerflich, da dieser gegen die kommunistische Lebensweise verstieß, und begrenzt somit sowohl die Anzahl an Chens Verbündeten als auch die zur Lösung des Falles zur Verfügung gestellten Hilfsmittel.

Um Gerechtigkeit walten zu lassen und Guans Mörder zu stellen setzt Chen nicht nur seine zwischenmenschlichen Beziehungen sondern sowohl seine Reputation als guter Bürger als auch seine gesamte Karriere aufs Spiel. Der Fall stellt sich ultimativ als eine Bedrohung der nationalen Politik und allen im Fall involvierten Personen heraus.

Fazit:

Das Buch „Tod einer roten Heldin“ liefert meines Erachtens nach einen sehr tiefen Einblick in das Geschehen in China während des 20. Jahrhunderts. Es wird nicht nur Chinas politische und kulturelle Situation während der 90er Jahre dargestellt, in der das Geschehen des Buches spielt. Es werden ebenso geschichtliche Details des 20. Jahrhunderts, wie zum Beispiel die Verhältnisse in China während der Umbruchsphase zwischen des Sozialismus und kapitalistischen Wirtschaftssystems, erörtert und teilweise sogar analysiert. Dabei bietet der Autor trotz subtiler Kritikpunkte ein sehr objektives und differenziertes Bild bezüglich Chinas Politik und der chinesischen Gesellschaft im Allgemeinen.

Des Weiteren wird im Buch ein sehr ausgeprägtes Bild von Shanghai und seinen Einwohnern vermittelt, welches sich beispielsweise durch sehr ausführliche Beschreibungen der Umgebungen und Verhaltensweisen der Bürger widerspiegelt. So wird schon im ersten Kapitel schnell deutlich, dass der Roman eine Authentizität vermittelt, die kein Tourist zu Papier bringen könnte. Der Leser erhält nicht nur einen sehr genauen Eindruck, wie Shanghais Straßen während der 90er Jahre aussahen, sondern ebenfalls eine Art Aufnahme der Lebensweise der Einwohner während einer politisch sehr heiklen Lage. Dabei sticht vor allem der Kontrast zwischen politisch engagierten Bürgern und Bürgern, die nicht innerhalb der Partei tätig sind, hervor.

Literarisch gesehen ist das Buch ebenfalls äußerst empfehlenswert, da der Autor seine Tätigkeit als Lyriker auf den Protagonisten übertragen hat. So wird das Buch nicht nur mit sehr detaillierten Beschreibungen bespickt, sondern durch einen Einschub von Rhetorik und Versen alter Dichter oder das Hinzufügen eigenhändig vom Oberinspektor erstellter Verse eine sehr ruhige und oftmals auch sehr bildreiche Sprache verwendet. Dabei wird immer wieder mithilfe der Verse, die Chen in jeder Situation parat hat, ein Bezug auf die chinesische Geschichte hergestellt. Infolgedessen wird das Lesen zu einem auf positive Weise sehr ungewöhnlichen Erlebnis.

Da die Geschichte in der dritten Person erzählt wird und einige Kapitel sogar andere Personen, wie zum Beispiel Chens Kollegen Yu Guangming, zum Fokus haben, wird auch hier eine sehr objektive Darstellung der Charaktere deutlich. Chen zeigt zum Beispiel fast zu jedem Zeitpunkt Verständnis gegenüber den Menschen, die nicht mit seinen angeblichen antipolitischen Methoden oder seinem Lebensstil einverstanden sind, da er ein hohes Maß an Selbstreflexion aufweist. Jedem Charakter wird zudem eine klar verständliche und authentische, jedoch nicht stereotypische Persönlichkeit verliehen, wodurch die zwischenmenschlichen Beziehungen im Buch umso interessanter ausfallen.

Auf einer Krimiebene lässt sich der Roman ebenfalls empfehlen, da auf die Darstellung einer realistischen polizeilichen Ermittlung sehr viel Wert gelegt wird. Der Fall wird nicht innerhalb weniger Tage gelöst, sondern kann immer wieder nur durch kleine Indizien fortgeführt werden, die nach etlichen gescheiterten Befragungen und falschen Spuren aufgefunden werden. Ebenso liefert der Schluss des Romans ein für Krimibücher sehr unkonventionelles, doch nichtsdestotrotz sehr packendes Ende des Falls.

Somit lässt sich das Buch nicht nur für diejenigen empfehlen, die eine Reise nach Shanghai machen wollen und somit ihr Wissen über China auf dem Weg in die Moderne vertiefen möchten, sondern auch für jene, die einen unüblich geschriebenen, mit Poesie und Politik geschmückten Krimi zu schätzen wissen.

 

 

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