Buchrezension: “Cox oder Der Lauf der Zeit” von Christoph Ransmayr

Buchdetails

Cover
Titel: Cox oder Der Lauf der Zeit
Autor: Christoph Ransmayr
ISBN: 978-3-10-082951-1
Verlag: S. Fischer, 5. Auflage Dezember 2016
Genre: Roman
Seiten: 303
Preis: 22€

 

 

Motivation

Da mich das traditionelle China während der Kaiserzeit schon immer faszinierte, war ich gezielt auf der Suche nach einem Roman, der in dieser Zeit spielt. Es stellte sich heraus, dass es keine leichte Aufgabe war, einen Roman zu finden, der mich neben dem Grundsetting „Kaiserreich China“ auch in seiner Handlung anspricht. Eher zufällig bin ich dann durch die Liste der Neuerscheinungen aus 2016 auf den Roman „Cox oder Der Lauf der Zeit“ mit einer Handlung in China gestoßen. Nach kurzer Recherche über den Autor, die Handlung und die einstimmigen Meinungen von Literaturexperten wie beispielsweise dem Literaturkritiker Denis Scheck, der dieses Werk als „ein großer Wurf“ bzw. „ein Meisterwerk“ bezeichnet (Denis Scheck, Druckfrisch, 30.10.2016, ARD) war meine Entscheidung diesen Roman zu lesen klar.

 

Autor

Der österreichische Schriftsteller Christoph Ransmayr ist am 20. März 1954 in Wels, Oberösterreich geboren. Von 1972 bis 1978 studierte Ransmayr Philosophie und Ethnologie in Wien. Nachdem er als Autor für verschiedene Zeitschriften arbeitete, ist er seit 1982 freier Schriftsteller und lebt sowohl in Wien als auch Irland. Er unternahm in seinem Leben viele Reisen nach Asien sowie Nord- und Südamerika und berichtet in seinen Werken auch von seinen Erfahrungen als Tourist. Ransmayr wurde unter anderem mit dem Franz-Kafka-Preis, dem Bertolt-Brecht-Literaturpreis sowie vielen weiteren Literaturpreisen ausgezeichnet.

 

Inhalt

Der Roman „Cox oder Der Lauf der Zeit“ spielt im 18. Jahrhundert in der Qing-Dynastie im Kaiserreich China unter der Führung des Kaisers Qiánlóng (25.09.1711 – 07.02.1799), der auch Herr der Zehntausend Jahre genannt wird. Qiánlóng gilt zu der Zeit in China als der mächtigste Mann der Welt und jeder Chinese gehorcht den Wünschen dieses brutalen Kaisers oder wird mit dem Tode bestraft. Qiánlóng hat jedoch eine bestimmte Leidenschaft: Er sammelt Zeitmesser und Uhren. Er ist der einzige auf der Welt, der mit der Zeit spielen darf. Auch wenn schon Schnee gefallen ist und die Bäume keine Blätter mehr tragen ist es so lange Sommer, bis Qiánlóng selbst bestimmt, dass der Winter begonnen hat – er ist der „Herr über die Zeit“ (S. 241).
Eines Tages lädt Qiánlóng den berühmten englischen Automaten- und Uhrenbauer Alister Cox mit drei Assistenten in die Verbotene Stadt nach Peking ein, um für Qiánlóng persönlich Uhren nach seinen Wünschen zu bauen. Am Hofe des Kaisers angekommen merken die vier Engländer, dass das Leben in der Verbotenen Stadt selbst wie ein Uhrwerk läuft. Jeder hat für ihn bestimmte Wege, wie er die Verbotene Stadt durchqueren darf. Wenn man auch nur einen Schritt von diesen Wegen abkommt, wird man mit dem Tode bestraft. Das gleiche gilt bei einem falschen Blick auf den Kaiser und dessen Konkubinen und fast überall sind Spione des Kaisers, die sicherstellen, dass niemand diese Regeln verletzt.
Als Qiánlóng seine Wünsche äußert, welche Uhren Cox ihm bauen soll, wird klar, dass es sich dabei um keine gewöhnlichen Uhren handelt, sondern um ganz spezielle Zeitmesser.
Als erstes soll Cox eine Uhr entwerfen, die das Zeitempfinden eines Kindes misst, „dem sich schon ein einziges seiner ersten Jahre zur Ewigkeit dehnen kann“ (S. 79) und das erleben muss, „wie die Minuten eines Nachmittags plötzlich zu rasen beginnen, weil ihm in der Abenddämmerung eine Strafe droht, die ein heimkehrender Vater an ihm vollstrecken wird“ (S. 80). Dies realisiert Cox indem er den Wind als Antrieb für sein Uhrwerk nutzt, der mal stärker, mal schwächer weht und mal stillstehen kann.
Als zweites soll Cox eine Uhr entwerfen, die das Zeitempfinden eines zum Tode Verurteilten misst, „dem die letzten Stunden seines Lebens verfliegen“ (S. 79). Um diese Uhr zu bauen, entwirft Cox ein Uhrwerk, dass durch das Glühen und die Asche eines Rauchwerks aus Kräutern, Harzen und Gewürzen angetrieben wird – „einer Glut, die sich unaufhaltsam durch die letzten Stunden eines Lebens“ (S. 122) frisst.
Nach dem Bau dieser Uhren stellt sich heraus, dass beide Uhren nur ein Testlauf waren und dass Qiánlóng noch einen dritten Wunsch hat, nämlich eine ewige Uhr, „die über alle Menschenzeit“ hinausschlägt „ohne jemals stillzustehen“ (S. 213), ein perpetuum mobile.
Cox, der sich selbst in seiner Zeit verloren hat, da er von der Trauer über den Tod seiner Tochter geplagt wird, nutzt den Bau dieser Uhren, um seine eigene ihn plagende Zeit zu überwinden. Durch seine Arbeit schöpft er neue Energie und Hoffnung und schafft es letztendlich einen Plan zu entwickeln, diese ewige Uhr, ein perpetuum mobile, zu bauen. Er nutzt dafür die Luftdruckschwankungen der Atmosphäre als Antrieb, wodurch sich Quecksilber in einer Säule ausdehnt bzw. zusammenzieht.
Am Hofe des Kaisers wird der Bau dieser Uhr für die englischen Uhrenbauer jedoch zu einem gefährlichen Vorhaben, denn nur der Herr der Zehntausend Jahre darf alleine über die Zeit herrschen und kein Automatenbauer der Welt darf eine Maschine bauen, die länger existiert, als der Kaiser selbst. Kein Mensch darf sich über den Herrscher erheben. „Das Ende eines Kaisers von China [ist] das Ende der Welt“ (S. 241). So schreibt es das Gesetz vor. Als Cox sich dem bewusst wird, entwirft er einen Schlüssel mit dem die ewige Uhr nur durch Qiánlóng persönlich zum Laufen gebracht werden kann.
Auch Qiánlóng ist ein Gefangener in seiner eigenen Zeit, denn sie verfliegt auch ihm. So sind die ersten Worte, die er an Cox richtet „Wie schnell die Zeit vergeht“ (S. 78). Er versucht mit aller Kraft gegen die Zeit zu leben und Herr der Zeit zu sein, indem er beispielsweise den Lauf der Jahreszeiten bestimmt. Doch auch er ist nur ein sterblicher Mensch. Er hat zwar 41 Ehefrauen und 3000 Konkubinen, doch er liebt dieses eine Mädchen – Ān – und ausgerechnet Ān liebt ihn nicht. Vielleicht hält er jedoch endlich bald den Schlüssel für die ewige Uhr in seinen Händen.

 

Interpretation und Fazit

Das Thema, mit dem sich der Roman beschäftigt, ist die Vergänglichkeit bzw. Sterblichkeit unseres Lebens – in diesem Fall über das Bild des Uhrenbaus ausgedrückt. Beide Protagonisten des Romans sind Gefangene in ihrer eigenen Zeit: Auf der einen Seite Cox, der seine Tochter verloren hat und gleichzeitig auch die Nähe und Liebe zu bzw. von seiner Frau. Er rechnet damit, dass er keine Freude mehr in der ihm bleibenden Zeit finden wird. Auf der anderen Seite der mächtigste Mann der Welt und Kaiser von China, Qiánlóng, der Titel wie „Herr der Zeit“ oder „Herr der Zehntausend Jahre“ trägt. Ihm wird jeder Wunsch erfüllt, jedoch entgleitet auch ihm die Zeit, denn er sehnt sich nach Liebe und hat kaum mehr Zeit sie zu finden. Beide Verbindet die ewige Uhr durch die gemeinsame Leidenschaft für Uhren und der Frage nach dem Leben nach dem Tod. Ransmayr behandelt ein Thema, das jeden in seinem Leben beschäftigen wird: Die Kürze des Lebens, die Frage nach dem Leben nach dem Tod und die Tatsache, dass Glück und Liebe das wichtigste im Leben sind.
Die Sprache, mit der Ransmayr seine Szenen beschreibt profitiert von einem besonderen Detailreichtum. Er nutzt alle Raffinessen der deutschen Sprache aus und erweckt somit fast lebendige Bilder in der Vorstellung des Lesers. Besonders an seiner Sprache sind seine extrem langen Sätze mit vielen Nebensätzen. Obwohl die Gefahr besteht bei solchen langen Sätzen das Verständnis zu erschweren, schafft der Autor seinen Stil durchgängig sinnvoll und gut anzuwenden. Für mich war dies eine Besonderheit an diesem Werk, da ich so durch die Beschreibungen über die Verbotene Stadt, die Chinesische Mauer, den Kaiser Qiánlóng und das Leben am Hof des Kaisers in meiner Vorstellung in die Zeit des Kaiserreichs katapultiert wurde. Schon der erste Satz des Romans hat mich dabei sehr gefesselt: „Cox erreichte das chinesische Festland unter schlaffen Segeln am Morgen jenes Oktobertages, an dem Qiánlóng, der mächtigste Mann der Welt und Kaiser von China, siebenundzwanzig Steuerbeamten und Wertpapierhändlern die Nasen abschneiden ließ“ (S. 9). Den Detailgrad, mit der der Autor die Brutalität, Folter und die Durchsetzung des Willens des Kaisers beschreibt, lassen den Leser glauben, dass die Zeit damals wirklich so brutal gewesen sein muss und dass die Chinesen ihrem Kaiser daher in allem Folge leisteten. Nur so lässt sich dann auch erklären, dass Weltwunder wie die Chinesische Mauer entstehen konnten. Außerdem werden die Arbeiten an den Uhren so detailliert beschrieben, dass man als Leser das Gefühl bekommt selber an den kleinsten Teilen dieser Mechanik schrauben zu dürfen. Auch interessant war die Beschreibung der Bräuche und der Kultur, die auf Cox und seine Assistenten sehr fremd wirkten. Ein Thema, das auch heute noch präsent ist und das mich in meinem Auslandsaufenthalt ebenfalls erwarten wird.
Besonders interessant fand ich zudem, dass Alister Cox ein historisches Vorbild mit Namen James Cox (1723 – 1800) hat, der tatsächlich eine Uhr baute, die wie die ewige Uhr von Alister Cox funktionierte und heute noch im Victoria and Albert Museum in London steht.
Zusammenfassend kann ich behaupten, dass ich einen Roman lesen durfte, der mich in die Zeit des Kaiserreichs in China versetzte, der mir geholfen hat das traditionelle China kennenzulernen und gleichzeitig zum Nachdenken angeregt hat – ein rundum gelungenes Werk.

 

Abschließende Empfehlung

Für all diejenigen, die eine spannende Handlung erwarten oder die durch den Roman nur unterhalten werden wollen, empfehle ich dieses Werk nur bedingt, da die Handlung eher nebensächlich ist. Die vielen Bilder, Metaphern und Parabeln und die Sprache sind in diesem Werk im Vordergrund. Für all diejenigen anderen, die einen Roman zum Nachdenken suchen, welcher im historischen China spielt, empfehle ich ihn wärmstens.
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