Blauäugig in Tokio, Meine verrückten Jahre bei Mitsubishi von Niall Murtagh

Titel:                      Blauäugig in Tokio, Meine verrückten Jahre bei Mitsubishi

Autor:                    Niall MurtaghBild_3

ISBN:                    978-3-430-20002-8

Verlag:                  Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2006

Auflage:                3. Auflage 2007

Seitenanzahl:        290

Preis:                    8,95€

 

Motivation

Die passende Wahl für die Vorstellung einer Literatur fiel mir sehr schwer auf Grund der vorhandenen Bandbreite. Lange überlegte ich, ob ich „Soul of Japan – The visible Essence“ von A, B und C vorstellen soll. Es ist ein Buch, welches die Blüte und Schönheit von Japan auf eine sehr bildhafte Art und Weise darstellt.

Dabei werden Begriffe, wie Harmonie, Vertrauen, Loyalität, Traditionen sowie der Weg in einer japanischen Perspektive betrachtet. Diese wird mit ausgewählten Grafiken sowie kurze Texte unterstrichen. Diese Literatur ist ganz besonders, da sie den Leser auf eine persönliche und sehr spirituelle Art erfasst. Der Leser hat das Gefühl, Teil dieser Traditionen, Harmonie und Loyalität zu sein.

Im Folgenden wird eine Leseprobe zur „Loyalität“ vorgestellt:

„The concept of chuu means respecting and serving a person (often of high rank) from whom one has received a favour. In feudal times, when rank and position were more clearly defined than today, chuu was thus a more important ethical norm than it is now. It can still be seen in the loyality Japanese people have for their companies, and their willingness to sacrifice themselves for the good of the group.“ (Seite 52)

Während des Sprachkurses am LSI in Bochum stöberte ich gerne in der vorhandenen Bibliothek und las einige Bücher über Japan. Als ich das Buch „Blauäugig in Tokio“ von Niall Murtagh entdeckte, packte mich der Lesergeist. Ich wollte dieses Buch unbedingt lesen und meine Neugier stillen, ob seine und meine Erlebnisse bei Mitsubishi deckungsgleich sind? Habe ich vielleicht andere Dinge erlebt als er und was habe ich nicht erlebt, was er dort erlebt hat? Sein humorvoller Schreibstil weckte oft ein Lächeln in mein Gesicht und verzauberte mich zurück in die Zeit, als ich selber in Tokio lebte und eins für Mitsubishi arbeitete.

Schon das Cover des Buches hatte mich sehr angesprochen, da es nicht die mysthische und beeindruckende Natur Japans, sondern den täglichen Kampf in der Metro darstellt. Die kühle und ehrliche Wahrheit von der täglichen Fahrt zur Arbeit und wieder zurück.

Mir war es besonders wichtig, einen kulturellen Bezug mit der ausgewählten Literatur zu gewährleisten. Daher habe ich mich für das „Blauäugig in Tokio“ von Niall Murtagh entschieden, da es nicht nur kulturelle Aspekte miteinbezieht, sondern auch autobiographisch seine Erlebnisse beschreibt. Ich habe mich von den ersten bis zu den letzten Zeilen des Autors gepackt gefühlt. Es war ein Vergnügen dem Autor Niall Murtagh auf seiner Reise mit einem Blick seiner tiefen und kritischen Gedanken auf dem Weg zur „Ameise“ zu begleiten.

Der Autor

Niall Murtagh ist ein Weltenbummler aus Dublin. Er machte dort im Jahr 1979 seinen Abschluss an der Universität. Da er noch nicht nach seinem Universitätsabschluss beginnen wollte zu arbeiten, da er nicht wusste, was, entschied er sich für eine Weltreise. Die Weltreise ging durch Europa nach Asien und Afrika hinweg und vollzog sich von 1979-1986.

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1986 erhielt er die Möglichkeit mit einem Stipendium eine Promotion an der Tokodai Universität in Tokio zu beginnen, welche er annahm und auch abgeschlossen hatte. Nach diesen ersten Jahren in Tokio war das Interesse für diese neue Kultur, die japanische Kultur weiterhin vorhanden und führte durch mehrere Vorstellungsgespräche zu einem Jobangebot bei Mitsubishi. Wo er einst anfing und bis zu einer lebenslangen Arbeitsvertrag als Manager erhielt. Seit 1986 lebt Niall Murtagh in Japan und veröffentlichte mehrere Publikationen über Reisen, Technologie und Corporate Culture in Japanisch und Englisch. Heute arbeitet er als Übersetzer und hält Vorlesungen an der Hosei Universität in Tokio.

Gliederung

„Blauäugig in Tokio“ gliedert sich in 13 Kapitel und einem Epilog.

Jede Kapitelüberschrift besteht aus einem japanischen Sprichwort, welches zuerst in Kanji, dann in der Umschrift (Furigana) sowie der deutschen Übersetzung dargestellt wird. Jedes Sprichwort ist eine Einleitung und Übergang zu seinen persönlichen Erlebnissen.

Im Folgenden möchte ich Euch diese 13 Sprichwörter vorstellen:

  1. 御に入っては御に従え (Go ni itte wa, go ni shitagae)

Wenn du in ein Dorf gehst, richte dich nach seinen Gepflogenheiten

  1. 井の中の蛙大海を知らず (I no naka no kawazu taikai o shirazu)

Der Frosch in seinem Brunnen weiß nichts vom Ozean

  1. 住めば都 (Sumeba miyako )

Wo immer du dich niederlässt, da ist die Hauptstadt

  1. 急がば回れ (Isogaba maware)

Wenn du es eilig hast, mach einen Umweg

  1. 裏には、裏がある(Ura ni wa, ura ga aru)

Hinter der Fassade steckt eine weitere Fassade

  1. 生描法は大怪我のもと(Nama byoho wa okega no moto)

Eine militärische Taktik, die nicht mit Umsicht geplant ist, führt zu hohen Verlusten

  1. 袖摺り合うも他生の縁 (Sode suriau mo tasho no en)

Auch ein zufälliges Treffen ist vom Schicksal vorherbestimmt

  1. のある鷹は爪を隠す(No aru taka wa tsume o kakusu)

Ein kluger Falke zeigt seine Krallen nicht

  1. 十人十色 (Ju nin to iro)

Zehn Menschen, zehn Farben

  1. 七転び、八起き(Nana korobi, ya oki)

Wenn du siebenmall hinfällst, musst du achtmal aufstehen

  1. 貧乏暇なし(Bimbo hima nashi)

Die Armen haben keine Zeit für Müßiggang

  1. 地震、雷、火事、親父 (Jishin, kaminari, kaji, oyaji)

Erdbeben, Gewitter, Feuer und Vater

  1. 雨降って地固まる (Ame futte ji katamaru)

Wenn der Regen fällt, wird der Boden härter

  1. Epilog

Inhalt

Diese Literatur befasst sich mit einer autobiografischen Darstellung der Beweggründe für den Aufenthalt in Japan sowie eine Darstellung der Erlebnisse und Empfindungen. Vor allem befasst es sich mit der Thematik, was mit einem Weltenbummler passiert, wenn er den Entschluss fasst, sesshaft zu werden und dies in einem Land, welches durch (unausgesprochenen) Regeln besteht. Welche Potenziale und Schwierigkeiten entstehen mit diesem Beschluss. Was passiert mit der individuellen Anpassungsfähigkeit sowie dem Verständnis dieser neuen östlichen Kultur.

Zuerst wird vonBild_2 den Erlebnissen der Weltreise erzählt und von der Herkunft sowie den Beweggründen für die Weltreise des Autors. Diese dazu führt, dass das nächste Reiseziel immer weiter entfernt und voller neuer Herausforderungen steckt. Eine Erfahrung führte zur nächster und eine Möglichkeit führte zu einer Promotionsstelle an der Tokodai Universität in Tokio. Ein erste Besichtigung der Sesshaftigkeit durch ein Vorstellungsgespräch bei großen japanischen Unternehmen bei Sony, Hitachi, Toshiba und Mitsubishi führte zu einer Festeinstellung bei Mitsubishi. Mitsubishi wollte sich1990 internationaler aufstellen und stellte den Autor zu einem japanischen Angestelltenverhältnis ein. Dieser Schritt sollte nun alles verändern

Mit Hilfe eines Stipendiums lernte Niall Murtagh die japanische Sprache kennen, welches vor allem die ersten Schritte bei Mitsubishi unterstützte. Er wurde fließend in der Sprache schon während seiner Zeit im Studium. Dort lernte er einige Freunde kennen, die ihm einen lebenlang begleiten. Auch seien spätere Frau lernte er an der Universität kennen. Durch eine zufällige Begegnung lernte Niall seine späteren Schwiegereltern kennen. Dem Schwiegervater fiel es anfangs schwer, einen Ausländer zu akzeptieren. Erst nach einer Musterung und Beantwortung vieler Fragen, hatte Niall bestanden und durfte seine Tochter, Miyuki heiraten. Erst wollten sie nur eine kleine Hochzeit feiern. Doch später wurde es doch eine größere Feier ganz im Sinne der japanischen Traditionen. Auch die zweitätige “Flitterwochen”, welche von Mitsubishi gesponsert wurden, wurden angetreten.

Besonders spannend ist, wie Niall die jährlichen Gesundheitschecks im Unternehmen vorstellt. Jedes Jahr müssen alle Mitarbeiter einen 10 Seitigen Fragebogen bezüglich der Gesundheit ausfüllen. Dabei werden teilweise auch sehr persönliche Fragen gestellt beispielsweise „Wie nehmen Ihre Mitmenschen Ihren Mundgeruch wahr?“. Niall stand diesen Gesundheitschecks sehr negativ und kritisch gegenüber und fragte seinen Vorgesetzten über die Sinnhaftigkeit dieser nach. Der Grund dieser Gesundheitschecks war, dass es für die Unternehmen ab einer gewissen Größe gesetzlich verpflichtend war, diese durchzuführen. Ein anderer Grund ist, dass es für das Unternehmen günstiger ist, wenn seine Mitarbeiter gesund sind, als wenn sie krank sind. Für Niall war es klar, dass all diese Fragen einen finanziellen Hintergrund hatten und erlies diese Gesundheitschecks teilweise mehrmals im Jahr über sich ergehen.

Es wird immer wieder deutlich, dass sich das Unternehmen, also Mitsubishi sehr um seine Mitarbeiter kümmert. Besonders deutlich wird dies, dass es mehrere Sicherheitsunterweisungen gibt, welche selbstverständlich verpflichtend für alle Mitarbeiter sind. Dabei müssen die Mitarbeiter beispielsweise mögliche Gefahrenquellen im Unternehmen aufzeigen, nicht vor dem Gebäude, sondern nur die, im Gebäude. Sogar Hausaufgaben erhalten die Mitarbeiter. Denn sie müssen eine Skizze von ihrem täglichen Arbeitsweg von zu Hause bis zur Arbeit in einer Karte aufzeichnen und alle möglichen Gefahrenquellen aufzeigen und beschreiben, wie diese Gefahrenquellen umgangen werden können. Nach einigen Jahren fällt Niall auf, dass sein Sohn in der Schule die gleiche Hausaufgabe erhält, wie er bei der Sicherheitsunterweisung. Er lächelt und sieht den Zusammenhang. Schon im Kindesalter wird diese Übung durchgeführt und vollzieht sich Jahr ein und Jahr aus bis zum Rentenalter.

Niall hatte nach einiger Zeit seiner Anstellung die Möglichkeit, seine englische Sprache in einem internationalen Projekt zu nutzen. Dieses Projekt wurde vom Ministerium unterstützt und beinhaltete viele Reisen nach USA, Europa. Auf Konferenzen wurde nach Unterstützung gesucht, vor allem bei den großen Konzernen. Denn große Konzerne sind immer positiv angesehen beim Ministerium. Das Projekt „Genosis“ überstand einige Jahre, bis das Urteil zum Auslaufen des Projektes vom oberen Management verkündet wurde, welche keinen Sinn mehr in ihm sahen.

Dies hatte zur Folge, dass Niall nach kurzer Zeit erhielt Niall die Information, dass er den Standort wechseln sollte. Vielen Mitarbeitern bei Mitsubishi wurde zwei Wochen vor der Versetzung von der Versetzung informiert. Bei ihm wurde eine Ausnahme gemacht und er erhielt einen Monat zuvor Bescheid. Er schreibt auch, dass dies ein ganz natürliches Phänomen ist und jeder der lebenslang eingestellten Mitarbeiter eine Versetzung ohne Wiederrede annimmt bzw. annehmen muss. Egal, wie die persönlichen Umstände aussehen. Seine Frau reiste mit ihm mit. Die Versetzung war von Tokio nach Osaka.

An dieser Stelle möchte ich hervorheben, dass Niall Murtagh es als erster internationale Arbeitskraft es geschafft hat von einem jährlich verlängerbaren Vertrag es geschafft hat, die Karriereleiter Schritt für Schritt hochzusteigen. Von einer normalen Arbeitskraft, zu einer mit mehr Verantwortung und erhielt sogar den Rang eines Managers und schließlich eine lebenslangen Anstellung bei Mitsubishi. Bis heute ist er der erste und letzte Internationale, der diese Möglichkeit erhalten hat.

Bild_1Vor allem zeigt dieses literarische Werk eine authentische Einblicke in die Hierarchie in traditionellen Unternehmen. Es zeigt, wie lange Veränderungsprozesse dauern und in welcher Art und Weise diese bei wem positioniert werden müssen. Dabei zeigt es vor allem, wie schwer es ist, eine Veränderung durchzuführen. Dies wird noch einmal im Epilog besonders deutlich, in dem Niall Murtagh noch einmal darstellt, welche Rückmeldung er nach seiner Kündigung von seiner lebenslangen Einstellung von seinen Kollegen erhalten hat. Sowie, welche Rückmeldung er erhielt, nachdem sein Werk in die japanische Sprache übersetzt wurde und 2005 in Japan erschien. Viele seiner Kollegen bewunderten Niall für seinen Mut, den Schritt der Kündigung zu wagen, und ein neues Leben, eine zweite Chance wahrzunehmen, als Freelancer.

Kritik

An dieser Stelle möchte ich auf das fehlende Inhaltsverzeichnis aufmerksam machen, welches mir fehlte, um eine anfängliche Übersicht des Werkes zu erhalten.

Hingegen gefiel es mir sehr, dass jedes Kapitel mit einem japanischen Sprichwort begann, welches eine Einleitung und einen thematischen Schwerpunkt über die nachfolgenden Worte lieferte. Jedes japanische Sprichwort wurde mit einer deutschen Übersetzung angezeigt, sodass man als Leser beide Seiten einmal lesen konnte:

  1. Die Kanji-Schreibweise
  2. Die Umschrift in Furigana (Hiragana/ Katakana)
  3. Und die deutsche Ãœbersetzung

 

Fazit

„Blauäugig in Tokio“ ist eine sehr amüsante und belebte kurze Autobiographie eines Weltenbummlers, der sich wagt in Tokio, Japan sesshaft zu werden. Es zeigt, welche kritischen Gedanken ihn auf seinen Schritten begleiteten, wie er den Weg vom Kulturschock überwunden hat und das positive in seinen einst kritischen Gedanken gefunden hat.

Die Literatur lebt vom Humor sowie von Erkenntnissen eines Europäers in dem Land der aufgehenden Sonne von Niall Murtagh.

„Blauäugig in Tokio“ ist nicht nur ein pures Leseerlebnis, sondern auch eine Reise durch die Gedankenwelt des Autors. Es zeigt, welche Potenziale ihm in Japan aufgetreten sind, wie schwer er zunächst dachte, diese zu bewältigen sind und wie sich herausstellt, dass die einst gedachte Last der Einzelnen zu einem Ort der Harmonie und Einigkeit geworden sind.                                                                                                                                                            Es zeigt vor allem, wie sich die Gedankengänge im Prozess geändert und mit der Zeit entwickelt haben. Diese Entwicklung wurde finalisiert, indem von dem einst gedachten kurzen Aufenthalt, der kurzen Lebensphase ein neuer Lebensabschnitt  und dauerhaften Wohnsitz wurde.

Ich kann diese Literatur jedem empfehlen, der mit dem Gedanken spielt, eine berufliche Tätigkeit in Japan nachzugehen. Denn dieses Werk gibt einen authentischen und ehrlichen Einblick in den Alltag eines Salaryman. Dabei gibt der Autor, Niall Murtagh, seine Wahrnehmung wieder. Es zeigt der Weg, den jeder Japaner durchgeht, wie entschieden wird und vor allem wer entscheidet, welcher der Studenten bei welchem Unternehmen sein Schicksal einer lebenslangen Anstellung erhält. Dabei werden alle Schritte aus einer persönlichen Perspektive dargestellt, von der Auswahl der Universität, zur Auswahl des Arbeitgebers und der dort auszuführenden Position.

Niall MurtBild_5 (002)ag zeigt dabei, welche Hürden es alles zu überwinden gibt und wie er diese gemeistert hat. Vor allem gibt er sehr tiefe Einblicke in das hierarchische und traditionelle Unternehmen Mitsubishi. Einblicke, die einem sonst verschwiegen werden und hier auf eine amüsante Art und Weise dargestellt werden

Daher kann ich jedem, der Japan in der Tiefe kennen lernen möchte, sowohl als Vorbereitung für ein Auslandssemester oder für einen längeren Aufenthalt im Sinne einer Arbeitstätigkeit in Japan sehr empfehlen.

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