Buchrezension “Die Tempelglocken von Shanghai” von Hong Li Yuan

Buchdetails  Buchcover ASBE

Titel: Die Tempelglocken von Shanghai
Autor: Hong Li Yuan
Genre: Historischer Roman
Erscheinungsjahr: 2002 (Erstauflage), 2011 (Nachdruck, 3. Ausgabe)
Seitenzahl: 472
Verlag: VVB Laufersweiler Verlag
ISBN: 978-3-8359-1106-2
Preis: 12,80€

Motivation

Bei der Recherche nach einem geeigneten Buch über China für das Literaturforum war es mir wichtig einen authentischen Eindruck vom Land und dessen Kultur zu erhalten. Somit entschied ich mich bewusst für ein Werk eines Autors, der im Reich der Mitte geboren wurde. Darüber hinaus reizen mich historische Romane sehr, weil diese mir als Leserin der Gegenwart die Möglichkeit geben, mich in den Protagonisten des Buches hineinzuversetzen und so in die Vergangenheit einzutauchen. Im letzten Semester wurden mir in einem Seminar bei einem chinesischen Gastprofessor die Auswirkungen der Kulturrevolution auf das chinesische Bildungswesen vor Augen geführt. Aufgrund der Tatsache, dass die Kulturrevolution ihre Spuren bis heute in der chinesischen Gesellschaft hinterlassen hat, war mein Interesse hoch, meine Kenntnisse über diese Zeit zu erweitern. Ein zusätzlicher Anreiz für das von mir ausgewählte Buch war der Titel, weil dieser den Handlungsort Shanghai beinhaltet, die Stadt, in der ich mein Auslandssemester absolvieren werde.

Der Autor

Hong Li Yuan wurde 1957 in Shanghai geboren. Neben chinesischer und europäischer Literatur studierte er traditionelle Heilkunst. 1992 verließ er China, um in Deutschland seine eigene Tai-Chi-Chuan- und Qi-Gong-Schule in Stuttgart zu gründen. Seinem Erstlingswerk „Die Tempelglocken von Shanghai” folgte die Fortsetzung „Der Meister aus Shanghai”. In seiner Tätigkeit als Autor hat er neben diesen beiden Romanen zwei Lehrbücher zu den Techniken des Tai Chi Chuan und Qi Gong veröffentlicht. In seiner Heimat Shanghai ist der Großmeister als Vorstandsmitglied in der Tai-Chi- und Qi-Gong-Gesellschaft aktiv.

Buchinhalt

Das Buch ist in 21 Kapitel untergliedert. Der Protagonist Da Lee wird 1957 in Shanghai als Kind hoher Beamten geboren. Da Lees Mutter ist Parteisekretärin bei der Kommunistischen Partei Chinas und sein Vater arbeitet als Offizier bei der Armee, sodass beide kaum Zeit für ihren Sohn haben. Da Lees Erziehung übernimmt deshalb überwiegend seine Oma. Seit seiner Geburt leidet Da Lee an einer schweren Krankheit, die sich darin äußert, dass er langsamer wächst als andere Kinder in seinem Alter, er sich regelmäßig nach dem Essen übergeben muss und seine Haare weiß anstatt schwarz sind.

In China hat es einen hohen Stellenwert ältere Menschen mit Respekt zu behandeln, indem man ihnen als jüngere Person beispielsweise hilft, ihre Einkäufe über die Straße zu tragen. Eines Tages helfen Da Lee und sein Grundschulfreund Qiang einem Mönch beim Transport seiner Einkäufe über die Straße. Der Mönch erkennt den Schweregrad von Da Lees Krankheit und bringt die beiden daraufhin in den Jade Buddha Tempel zu Meister Yun. Meister Yun gelingt es, Da Lee mithilfe von Qi Gong, einer Form von Energiearbeit, von seiner Krankheit zu heilen. Von nun an übernimmt Meister Yun in Da Lees Leben eine prägende Rolle. Einerseits weiht er Da Lee in die Heilkunst des Qi Gong ein, andererseits sorgt er sich um Da Lee wie um seinen eigenen Sohn.

1966 bricht in China die Kulturrevolution unter dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Chinas, Mao Tse Tung, aus. Mao nutzt die Strategie des Klassenkampfes nach seinem Vorbild Karl Marx, um möglichst viel Macht zu erlangen. In dieser Zeit kommt es zur Schließung vieler Schulen und Universitäten, sodass sich die jungen Menschen komplett dem Klassenkampf widmen können. Personen, durch die Mao seine Macht gefährdet sieht, werden als Antirevolutionäre, sogenannte Revisionisten, angeklagt und anschließend meist verhaftet. Die Beschuldigungen der Angeklagten übernimmt hauptsächlich die Rote Garde, eine Gruppierung von Schülern und Studenten, die sich für den Machterhalt Maos mit brutaler Gewalt einsetzen. Auch Da Lees Mutter wird verhaftet. Kurze Zeit später stirbt Da Lees Oma, sodass Da Lee im Alter von zehn Jahren alleine wohnt und für sich selbst sorgen muss. Da Lees Vater ist als Marinesoldat nur selten zu Hause. Meister Yun holt Da Lee zu sich in den Jade Buddha Tempel, um sich um ihn zu kümmern. Der Vorsitzende Mao erkennt jedoch auch in der Religion eine Gefahrenquelle für seine Macht, sodass er die Mönche im Jade Buddha Tempel ebenfalls als Antirevolutionäre verdächtigt. Die Mönche geben sich bei der Anklage im Tempel als Revolutionäre aus, indem sie zuvor alle Wände mit Losungen beklebten, rote Armbinden tragen, die religiöse Kleidung ablegten, Mao Bibeln bei sich tragen und alle Buddhafiguren überklebten. Diese Strategie führt zur Erhaltung des Tempels.

Die Mehrheit der Schulabgänger und Hochschulabsolventen wird von Mao zum Arbeiten aufs Land verbannt, um von den Bauern auf den Feldern zu lernen. Kinder aus Beamtenfamilien dürfen in den Militärdienst eintreten, um dem Land zu dienen. Meister Yun wird als Antirevolutionär nach Nordchina in die Provinz Xinjiang verbannt. Da Lee folgt seinem Meister als Soldat nach Xinjiang, in der Hoffnung diesen wiederzufinden. Dort lernt Da Lee Oigulie kennen, ein kasachisches Mädchen, seine erste Liebe. Leider heiratet Oigulie kurze Zeit später einen von Da Lees Armeekollegen. Da Lee gelingt es Meister Yun wiederzufinden, allerdings wird Da Lee nach Shanghai versetzt und muss deshalb erneut von seinem Meister Abschied nehmen.

Nach seiner Rückkehr in Shanghai arbeitet Da Lee als einfacher Arbeiter in einer Fabrik, mit dem Ziel studieren zu dürfen. In seiner Freizeit lernt er Tai Chi, eine Heilkunst, durch die er seine Energie noch stärker werden lassen kann. Darüber hinaus gibt Da Lee eigene Qi Gong Kurse.

Mit dem Tod des Vorsitzenden Mao 1976 endet die Kulturrevolution. Seitdem wird der Hochschulzugang durch eine nationale Hochschulaufnahmeprüfung geregelt und nicht mehr durch persönliche Beziehungen. Da Lee besteht diese Prüfung und erhält einen Studienplatz an einer Hochschule in Peking.

Nach seinem Diplomabschluss kehrt Da Lee nach Shanghai zurück. Neben einer Anstellung in einer Firma bildet Da Lee Schüler in Qi Gong und Tai Chi aus. Das Buch endet mit dem Tod von Meister Yun, dem engsten Vertrauten von Da Lee.

Fazit

Hong Li Yuan beschreibt durch den Protagonisten Da Lee in einem lebendigen, emotionalen und leicht verständlichen Schreibstil die Zeit der Kulturrevolution, die von heftigen politischen Machtkämpfen und revolutionären Strömungen geprägt war. Die gesamte Bevölkerung musste den Ideen ihres Vorsitzenden Mao folgen. Dieser nutzte jegliche radikale Mittel um Macht an sich zu reißen, wodurch viele Menschen zu Unrecht als Antirevolutionäre beschuldigt und so Familien auseinandergerissen wurden.

Besonders positiv hervorzuheben ist die Einbindung von Charakteren unterschiedlicher Generationen, wodurch ich als Leserin verschiedene Perspektiven zur damaligen politischen Lage erhalten habe. Da Lees Eltern war es wichtig, den Ideen Maos zu folgen. Da Lee selbst hingegen trotzte den gesellschaftlichen Zwängen ab und an, indem er sich zum Beispiel für seine Mitmenschen einsetzte und kein Mitglied der Kommunistischen Partei wurde, was seine Eltern traurig stimmte. Zudem gab mir die Varietät an Charakteren die Chance, Informationen diverser Lebenswelten zu bekommen – den Schulalltag, das Armeeleben, den Buddhismus, das Berufsleben und das Studentenleben.

Zudem spielte sich das Wirken des Protagonisten an mehreren Standorten ab, sodass ich durch die Detailgenauigkeit des Autors eine Vorstellung von unterschiedlichen Gebieten Chinas erhielt – Shanghai, Nordchina und Peking.

Der Autor scheint eine Vorliebe fürs Essen zu haben, da er insbesondere seine Restaurantbesuche über den gesamten Verlauf des Buches sehr detailliert beschreibt. Somit lernte ich, wie man traditionelle Gerichte wie Bao Ze, Wan-Tan oder Mandarinfisch zubereitet.

Kritisch anzumerken ist, dass die Energiearbeit als Wundermittel die Lösung etlicher Probleme darstellt. Insbesondere wird durch die Energiearbeit die Heilung vieler Krankheiten ermöglicht, unter anderem die des Protagonisten selbst.

Zusammenfassend liefert das Buch viele Informationen zur Kulturrevolution, chinesischen Küche, Traditionen und Heilkünsten, wodurch ich mein Wissen über China definitiv erweitern konnte.

Ich kann das Buch jedem empfehlen, der mehr über das Leben in China zur Zeit der Kulturrevolution erfahren möchte. Aufgrund der detailgetreuen Beschreibung der Heilkünste Qi Gong und Tai Chi kann ich das Buch auch jedem ans Herz legen, der eine Möglichkeit sucht stärker zu sich selbst zu finden.

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One Response to Buchrezension “Die Tempelglocken von Shanghai” von Hong Li Yuan

  1. Mehmet Emin says:

    Nihao Karina,

    zunächst Danke für deine Rezension eines sehr interessanten Buches, insbesondere aus politischer Hinsicht. Deine Rezension und das Buch an sich haben mir sehr gefallen.
    Ich werde zwar für ein Semester nach Japan gehen, jedoch hatte ich schon die Möglichkeit gehabt, 6 Monate in China zu leben, weshalb ich bezüglich chinesischer Politik und Geschichte sehr interessiert bin.
    Die Kulturrevolution ist ein sehr wichtiger Punkt in Chinas Geschichte und zugleich auch ein prägender Faktor der derzeitigen Gesellschaft.
    Vermutlich wird es in China “noch” schwerer sein objektive Literatur bezüglich dieser Thematik zu finden, weshalb ich deine Wahl sehr gelungen finde.
    Ich gehe auch stark davon aus, dass dieses Buch in dieser Form nicht in China veröffentlicht wurde.
    Wie ich deiner Rezension entnehmen kann, bietet das Buch auf jeden Fall einen guten Einblick in die Tradition, Geschichte und Politik Chinas. So denke ich auch, dass es für jeden “China-Interessenten” zu empfehlen ist.
    Für dich wird es wahrscheinlich noch interessanter, da du das “derzeitige Shanghai” mit dem “alten Shanghai” vergleichen kannst. Von der Politik bis hin zu dem Verhalten der Menschen. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass die Kulturrevolution dahingehend “Erfolg(im negativen Sinne)” hatte, dass man Religion, Kultur und “traditionsbewusstes “-Verhalten kaum auffinden konnte- insbesondere in Shanghai. Daher freue ich mich schon deine Meinung nach deinem Auslandssemester einholen zu können. Vielleicht wirst du ja andere Kenntnisse machen können ☺

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