Buchrezension “Der Tod des Teemeisters” von Yasushi Inoue

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Autor: Yasushi Inoue

Originaltitel: Honkakubo ibun

Veröffentlicht: 2008

Verlag: Surkamp Verlag

Genre: Historischer Roman

Seitenzahl: 168

ISBN: 978-3-518-46025-2

Autor:
Yasushi Inoue ist ein japanischer Schriftsteller. Er wurde 1907 in Hokkaido geboren und starb im Alter von 84 Jahren in Tokio.  In Kyushu studierte er Kunst und Geschichte und war lange als Journalist tätig, bevor er 1950 mit dem Buch „Der Stierkampf“ seinen Durchbruch als Schriftsteller feierte. Yasushi Inoue ist im deutschsprachigem Raum der meistgelesene japanische Autor. Seine Werke wurden mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet und die Frankfurter Allgemeine Zeitung ernannte ihn einst zu einem der großen Vergessenen in der Geschichte der Nobelpreisträger.

Motivation:
Das feudale Japan hat eine große Anziehungskraft auf mich. Die kriegerischen Zeiten mit Ehre und Traditionen der Samurai, geprägt mit harmonischen Ritualen und philosophischen Denkweisen für Ästhetik bilden zusammen eine einzigartige Kultur. Dieser historische Roman über ein reales Manuskript eines Zeitzeugen schien mir etwas ganz Besonderes zu sein. Der Klappentext des Romans ist dazu sehr reißerisch und konnte sofort meine Neugier wecken, doch ich musste mich auf eine Überraschung gefasst machen

Buchinhalt:
„Der Tod des Teemeisters“ ist ein historischer Roman von Yasushi Inoue und ist 1981 in Japan unter dem Originaltitel „Nachgelassene Schriften des Priesters Honkaku“ erschienen. Im Jahr 2008 wurde im Suhrkamp Verlag dieses Werk erstmals ins Deutsche übertragen und veröffentlicht. Inoue führt den Leser in diesem Roman in die Zeit der Samurai und der Einigung Japans im 16. Jahrhundert, in der sich das Land durch Kämpfe zwischen rivalisierenden Daimyo in einem ständigen Kriegszustand befand. Zugleich ist diese Epoche für ihre Spiritualität und Harmonie bekannt, denn durch den Weg des Zen-Buddhismus entstanden zu dieser Zeit viele rituelle Disziplinen und Künste, wie die Teezeremonie, Kalligraphie oder Zengärten. Dieser meditative Lebensstil war weit verbreitet und hatte einen großen Einfluss auf alle Schichten der japanischen Bevölkerung. Darunter fiel auch der Hauptprotagonist und die historische Person Mönch Honkakubo. Aus seinen Jahrhunderte alten Aufzeichnung gestaltete Yasushi Inoue ein fiktives Tagebuch und rekonstruiert die Geschichte von Honkakubos und seinem Meister, der berühmte Meister der Teezeremonie, Sen no Rikyu. Als Begründer der Teezeremonie, diente Sen no Riyku dem unberechenbaren Herrscher Toyotomi Hideyoshi als Vertrauter und übernahm die Rolle eines Unterhändlers. Honkakubo, der als Schüler ständig an seiner Seite war, kam so zu der Gelegenheit alle großen Persönlichkeiten dieser Epoche kennen zu lernen, welche dadurch ebenfalls ihren Platz in seiner Chronologie fanden. Die Handlungen des historischen Romans drehen sich hauptsächlich um die Tragödie des unnatürlichen Todes von Teemeister Sen no Rikyu. Mönch Honkakubo, welcher sich nach dem Ableben seines Meister in die Einsiedelei zurückgezogen hat, trifft nach sechs Jahren zufällig auf einen alten Bekannten. Dieser alte Bekannte, selbst Teemeister und Freund von Rykiu, lädt Honkakubo in sein Teehaus ein und sogleich verfallen sie den Erinnerungen Rykius Todes, welche Honkakubo versucht hat jeher zu verdrängen. Seit diesem Erlebnis kehrt Honkakubo, mit der Zeit aus Einsiedelei zurück und trifft nach und nach auf weitere alte Bekannte aus der damaligen Zeit. Zentral ist hierbei die Aufklärung der Umstände des unnatürlichen Todes des Teemeisters Rykiu. Rykiu wird von seinem damaligen Lehnsherren Shogun Toyotomi Hideyoshi nach geheimnisvollen Ursachen aus der Hauptstadt verbannt, doch ganz im Gegensatz aller Erwartungen wird Rykui nach seiner Verbannung nicht begnadigt, sondern der Seppuko (Freitod durch das Schwert) befohlen. Viele Gerüchte drehen sich seither um das Dahinscheiden seines Meisters und während Honkakobu nach den Gründen seines Todes forscht, trifft Honkakubo weitere historische Persönlichkeiten aus Rykius Lebzeiten. Seine Erlebnisse verfasst er über 30 Jahre in seinem Manuskript und die bereits sehr alt gewordenen Zeugen, welche die Wahrheit vielleicht wissen könnten scheiden mit der Zeit dahin. Dennoch gibt Honkakubo die Hoffnung nicht auf, das Geheimnis doch noch lüften zu können.

Interpretation & kritische Würdigung:
Einen deutlich zentralen Stellenwert in diesem Roman erhält die Tradition der japanischen Teezeremonie.  Inoue konstruiert die Geschichte des Honkakubo in einem fast kreisenden Erzählprosa, indem Honkakubo regelmäßig Teezeremonien mit den auftretenden Charakteren des Romans abhält. Dabei bedient sich Inoue einer Sprache, welche so karg und unvermittelt ist, dass sie einer Meditation gleichkommen kann, falls der Leser sich darauf einlässt. Yasushi Inoue schafft es mit ästhetischer Echtheit, ohne reißerische und spannungsaufbauender Stilmittel den Leser am Lesen zu halten. Mit einer „Suki“ ästhetischen Sensibilität (gepflegte künstlerische Begeisterung von Zen-Mönchen) erhält sein Erzählstil eine Strenge und Schlichtheit, die als Stilmittel im Einklang mit der tatsächlichen Zenkultur im Einklang zu stehen scheint. „Es war um die Stunde des Widders, als ich in seinem Teezimmer Platz nahm, und ich blieb, bis die Pflanzen im Garten schon mit der Dunkelheit verschmolzen (…) Seit damals hat sich nichts verändert: die Kalligraphie des Prinzen Son-En-Po an der Wand, die Tenmoku-Teeschale aus Ise, das unablässige knisternde und zischende Kohlebecken, das an das Säuseln von Kiefern im Wind erinnert“. In diesem historischen Roman wird der Suki-Lebensstil hervorragend verkörpert, wie durch die unzähligen Teegerätschaften, welche alle personifiziert werden, charakterähnliche Namen erhalten und so zu wertvollen Reliquien werden. Für einen Leser, ohne Vorwissen mag es deswegen unvorstellbar wirken, wie das einfache Teetrinken eine so große Aufmerksamkeit bekommt, so dass es in der japanischen Kultur einen fast größeren Stellenwert als das kirchliche Abendmahl erhält. Durch diese kulturelle Verfremdung wird der Roman zu etwas ganz Besonderem. Der Leser taucht mit der Hilfe von Honkakubos Erzählung und Rykius Lehren in die Teekultur ein, doch die tieferen Gründe der Teezeremonie bleiben dem Leser bis zuletzt verwehrt.
Die Handlung des Romans bleibt schlüssig und nachvollziehbar. Das scheint der Tatsache geschuldet, dass dieser Roman auf den realen Begebenheiten von Honkakubos Vermächtnis basieren. Der Erzählprosa eines Tagebuchs bleibt bis zum Schluss erhalten. Zwar enthält es zeitliche Lücken, aber diese stammen vermutlich von der Nichtigkeit anderer Geschehnisse. Im Schlusswort erwähnt Inoues ebenfalls, dass er das originale Manuskript ein wenig veränderte, historische Erläuterung eingeführt hat und Wiederholungen strich. Dennoch vermisst man für einen historischen Roman bestimmte Informationen für eine notwendige historische Einordnung.  Es fehlen Aufklärungen zu bedeutenden Schlachten und Informationen zu politischen Geschehnissen oder Schicksalen wichtiger Charaktere, so dass dem Leser die Chronologie der Erzählung oder Erinnerungen nicht immer sofort klar wird. An wenigen Stellen ist es außerdem schwer, die Wirklichkeit von der Fiktion (während Honkakubos Träumen oder Fieberphantasien) zu trennen. Die Handlung wird dennoch schlüssig erzählt und schafft eine meditative Hülle, welche zu einem spirituell abschließenden Ende führt. Jedoch existiert ein wirklicher Kritikpunkt, welcher allerdings dem Suhrkamp-Verlag selbst anzurechnen ist. Die sinnverändernde Titeländerung von „Nachgelassene Schriften des Priesters Honkaku“ in „Der Tod des Teemeisters“ ist mehr als unglücklich. Es suggeriert dem Leser fälschlicherweise einen historischen Krimi lesen zu dürfen und schafft zu Beginn des Buches einen falschen Eindruck. Wenn der Leser allerdings diese Hürde meistert und es schafft, das Buch fortan in seiner wahren ästhetischen Natur zu Ende zu lesen, dem offenbart das Buch einen greifbaren esoterischen Zugang zur japanische Kultur. Eine Kultur mit Gartenkunst, Architektur, Keramik und Teezeremonien. Vielleicht bietet es sogar die Möglichkeit ein Verständnis für die Strenge und die Lebensweise der Japaner zu entwickeln.

Fazit:
Der historische Roman „Tod eines Teemeisters“ ist ein fast kunstvolles Buch, doch leider ist dieser Roman nicht uneingeschränkt zu empfehlen. Zum einen sorgt die nicht gelungene Wahl des deutschen Titels für einige Verwirrung, indem der Leser fälschlicherweise auf den Klimax eines typischen Krimis hofft. Wer auf Grund des deutschen Klappentextes auf einen Krimi mit spannenden Intrigen und Konflikten á la George R. R. Martin im Zeitalter der Samurai hofft, wird leider enttäuscht. Wenn man jedoch die wahre Natur dieses Buches entdeckt und sich auf eine ästhetische Reise in das feudale Japan einlässt, ist dieses Buch ein wunderbar andersartiger Roman. Vielmehr wird der Roman gerade diejenigen ansprechen, die Gefallen an Ästhetik und Spiritualität finden. Speziell für Leser mit einem Fable für die Japanische Kultur ist dieses Buch eine absolute Empfehlung. Eine besondere tiefe erhält dieser Roman durch die Tatsache, dass dieser Roman nicht auf Fiktionen, sondern auf dem wahren Manuskript des Mönches Honkakubo basiert und versetzt den Leser somit in eine wahrhaftige Stimmung. Während dieses Buch den Leser in eine fast meditative Stimmung versetzt kann, erfüllt es den Leser trotzdem mit einer ständigen Spannung, nämlich dem Gefühl, dass das Geheimnis um den Tod Rykius unmittelbar vor der Auflösung steht. Für mich ist das Buch einen Kauf wert, weil ich selbst dadurch einen Zugang zu der japanischen Lebensweise erhielt und ein Verständnis davon bekam, warum diese Lebensweise durch absolute Strenge, Traditionen und einer Sensibilität für Ästhetik durchzogen ist. Nach diesem Roman scheint das kaum mehr verwunderlich, wenn Menschen in der Geschichte Japans durch den bloßen Gesichtsverlust zu einem Selbstmord verurteilt wurden, welcher selbst eine höchst kunstvolle und ehrenhafte Zeremonie darstellt.

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One Response to Buchrezension “Der Tod des Teemeisters” von Yasushi Inoue

  1. MadeleineH says:

    Hallo Marc,

    vielen Dank für Deine Wahl dieses literarischen Werkes. Schon bei Deiner Vorstellung des Autors sowie der Motivation hat es mich gepackt, weiter zu lesen. Ich wollte unbedingt wissen, was die Überraschung ist. Auch ich möchte einen „greifbaren esoterischen Zugang zur japanischen Kultur“ erfahren und werde mir das Werk „der Tod des Teemeisters“ einmal genauer durchlesen, um wie Du einen genussvollen und lehrreichen Einblick in die Kultur, die Strenge und mein Wissen über Teezeremonien aufbauen kann. Ich möchte mich an dieser Stelle auch für Deinen Schreibstil bedanken, welcher mich nicht nur gepackt, sondern auch total fasziniert hat. Ich habe Deine Rezension mit Freude gelesen und bis zum Schluss auf die zu Anfang erwähnte Überraschung gewartet. Ich teile meine Bedenken mit Dir, dass der Wechsel des Titels einen Leser den Eindruck eines “Krimi“ erhalten. Hingegen wird hier eine wahre Gegebenheit erzählt und die Spuren des mysteriösen Todes von Rykius wiedergibt.
    Ist die Überraschung nun gewesen, dass der mysteriöse Tod von Rykius ein Selbstmord nach der Verbannung war, in dem er seinen Selbstmord ähnlich der Teezeremonie einer ganz eigenen Zeremonie unterzogen hat?

    Es hat mir eine große Freude bereitet, Deine Rezension zu lesen und bedauere es sehr, persönlich nicht anwesend gewesen zu sein.

    Bei weiteren Rückfragen bin ich selbstverständlich jederzeit für Dich erreichbar.

    Liebe Grüße,
    Madeleine

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