Buchrezension “Dem Volke dienen” von Yan Lianke

 

Dem Volke dienen

Buchdaten
Titel:                             Dem Volke dienen (Wèirénmínfúwù [为人民服务])
Autor:                           Yan Lianke (阎连科)
Verlag:                          Ullstein (2007)
Erscheinungsjahr:     Erste Buchausgabe: Servir le peuple, Frankreich (2004)
Zeitschrift Hua Cheng (2005)
ISBN:                            978-3-550-08687-8
Seitenzahl:                   208 Seiten
Preis:                             16,90 €

Motivation
Bei der Suche nach geeigneter Literatur kam mir sofort der Autor Yan Lianke in den Sinn, da mir dieser vor einiger Zeit persönlich empfohlen wurde, ich jedoch bisher noch kein Buch von ihm gelesen hatte. Yan Lianke zählt zu den bekanntesten und renommiertesten Gegenwartsautoren Chinas und zudem sind seine Werke höchst kontrovers und satirisch. Dies weckte sofort mein Interesse.
In seinen Büchern scheut er sich nicht davor, auch unliebsame Wahrheiten auszusprechen und schreibt deshalb in China am Rande der Legalität. Viele seiner Romane wurden zensiert und mit einem Verbot belegt. Unter anderem zwei seiner bekanntesten Werke stehen auf dem chinesischen Index und erhielten ein Veröffentlichungsverbot: Dem Volke dienen, meine Auswahl für die Buchrezension, sowie Der Traum meines Großvaters. Nichtsdestotrotz sagt Yan Lianke selber über seine Werke, dass „Chinas Realität grotesker als [seine] Romane“ (Interview mit WELT ONLINE, 2009) sei. Nicht zuletzt diese Sachverhalte bestärkten mich in meiner Entscheidung, mich mit dem Werk Dem Volke dienen auseinanderzusetzen.

Autor
Yan Lianke (阎连科) wurde 1958 in der Provinz Henan in der Stadt Luoyang geboren. Er ist einer der bedeutendsten chinesischen Gegenwartsautoren und seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet. Zu seinen Preisen zählen unter anderem zwei der höchsten Literaturauszeichnungen in China: in den Jahren 1997 und 2001 erhielt er den Lu-Xun-Preis und im Jahr 2004 den Lao-she- Preis. Darüber hinaus erhielt Yan Lianke 2014 den Franz-Kafka-Literaturpreis und wurde im Jahr 2016 für den Man Booker International Prize nominiert.
Lianke wohnt zwar in Peking, jedoch verblieb sein Herz ihm zufolge in der Provinz Henan. Viele seiner Werke basieren auf dem Leben dort, unter anderem entstammt auch die Hauptperson aus Dem Volke dienen, Wu Dawang, der Provinz Henan. Auch sein bekanntes Werk Der Traum meines Großvaters beschäftigt sich mit dem AIDS-Skandal der 90er Jahre in der Provinz Henan und greift auf diese Weise ein Thema auf, dass der chinesischen Regierung ein Dorn im Auge ist.
Im Jahre 1978 trat er in die Volksbefreiungsarmee ein und wurde Propagandaschreiber beim Militär, wo er sich hocharbeitete und unter anderem Kulturprogramme und Propagandazettel schrieb. Des Weiteren trat er in dieser Zeit der kommunistischen Partei bei, in der er komischerweise bis heute verblieben ist. Im Jahre 1985 dann schloss er die Henan Universität mit einem Abschluss in Politics and Education ab. Einen weiteren Abschluss in Literatur erwarb Yan Lianke 1991 an der Kunsthochschule der Volksbefreiungsarmee.
Er selbst beschrieb sich zu damaliger Zeit als „völlig systemkonform“, dann jedoch kam der Wandel. Seitdem er drei Jahre durch einen Bandscheibenvorfall ans Bett gefesselt war, will er nur noch über das wahre Leben in China schreiben. Nicht zuletzt seine subtile Kritik an Kriegen, der Korruption oder der Kulturrevolution zogen Verbote seiner Bücher in China nach sich.

Inhalt
Angesiedelt in der Zeit der Kulturrevolution beschreibt das Buch die Geschichte des einfachen Bauernjungen und Soldaten Wu Dawang. Dessen einfaches Leben entwickelt sich im Laufe der Geschichte zu einer Tragikomödie. Zum Leitmotiv bzw. Leitsatz des Buches werden die von Mao geprägten und propagierten Worte „Dem Volke dienen“, welche unter anderem auch in der sogenannten „Mao-Bibel“ abgedruckt sind.
Wu Dawang entstammt einer armen Familie aus der Provinz Henan und versucht diesem beschwerlichen und am Existenzminimum geführten Leben zu entfliehen, indem er dem Buchhalter der Volkskommune-Leitung seines Dorfes ein Versprechen gibt, dass er es in der Partei und der Armee zu Ansehen und einer Offizierslaufbahn bringen wird. Nur mit Hilfe dieses Versprechens erhält er die Erlaubnis die Tochter des Buchhalters heiraten zu dürfen. Wu Dawang soll der Tochter ein gutes Leben und den Zuzug in die Stadt ermöglichen. Gleichzeitig kann er so seiner Mutter den letzten Wunsch erfüllen, dass ihr Sohn heiratet und eine Frau an ihrem Grab trauert, bevor sie an den Folgen einer Leberzirrhose stirbt. Die Ehe mit seiner Frau Ezi ist jedoch für beide Seiten mehr ein Mittel zum Zweck als die große Liebe. Im Folgenden erhält er also die Möglichkeit, dass er seine „Charaktereigenschaften, die ihn bisher schon ausgezeichnet hatten – Anspruchslosigkeit, Fleiß, Geduld und Ausdauer – unbewusst umsetzen [konnte] in die Klugheit, die der Mensch zum Leben und Überleben in einer Kaserne braucht“(S. 59, Dem Volke dienen).
Wu Dawang, der sich mittlerweile bis zum Gruppenführer hochgearbeitet hat, dient als Koch und Ordonnanz im Hause des Divisionskommandanten. Der Kommandant ist überaus zufrieden mit ihm und seine Personalakte füllt sich mit Auszeichnungen. Er ist ein „Perfektionist in Uniform“ (S. 10) und lebt stets nach den Grundsätzen „Ich darf nichts fragen, nichts tun und nichts sagen, was mir nicht zukommt“ und „Ich muss mir immer bewusst sein, dass mein Dienst beim Kommandeur Dienst am Volke ist“ (S. 11).
Folglich ist Wu zu jeder Zeit pflichtbewusst, kocht, kümmert sich um den Garten und hält das Erdgeschoss in Haus Nr.1, dem Hause seines Kommandanten, sauber. Alles ging Tag für Tag seinen gewohnten Gang, „unmerklich verfloss die Zeit; die Tage gingen dahin, gleichförmig und friedlich, wie der Fluss, der durch das Kasernengelände strömte“(S. 8).
Bis er eines Tages die ihm bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend unbekannte Frau des Kommandanten näher kennenlernt, weil der Kommandant auf eine längere Dienstreise geschickt wird. Liu Lian, die hübsche und deutlich jüngere Ehefrau des Kommandanten, funktioniert nun die Tafel des Kommandanten mit den Schriftzeichen für Dem Volke dienen, die sich bisher stets auf dem Esstisch in der Küche befand, um. Sie befiehlt dem nichtsahnenden Wu Dawang, dass immer wenn die Tafel nicht am angestammten Platz steht, er zu ihr in den 1. Stock kommen muss, um ihr behilflich zu sein. Im ersten Stock erwarten ihn jedoch keine häuslichen Pflichten, sondern soll er bei Liu Lian selber „Dienst am Volke verrichten“ und mit ihr schlafen.
Wenngleich Wu Dawang es anfangs noch nicht mit seinem Gewissen und seinen verinnerlichten Grundsätzen vereinbaren kann, fürchtet er sich dennoch davor, dass Liu Lian an seinen Divisionsleiter weitergeben könnte, dass er nicht gehorsam ist. Von nun an ergibt sich Wu Dawang also seinem Schicksal und es entwickelt sich eine leidenschaftliche Affäre, in der Wu und auch Liu Lian das erste Mal wirkliche Liebe und Freiheit empfinden. Beiden ist jedoch bewusst, dass diese Beziehung kein glückliches Ende haben kann.
Der Leser erfährt in Rückblicken noch weitere Details aus Wu’s Vergangenheit und gleichzeitig über das Auf und Ab seiner Beziehung zu Liu Lian. Im selben Atemzug realisiert der Leser genauso wie Wu Dawang selbst immer mehr die Tragödie in der er steckt. Ihm wird immer bewusster, dass er und seine Ehefrau sich nicht lieben und er stellt sein bisheriges Leben immer mehr in Frage. Zugleich verliebt er sich immer mehr in die Ehefrau des Kommandanten.
Mit Liu Lian fühlt er sich erstmals wirklich lebendig. Jedoch werden beide während ihrer Affäre, als die Rückkehr des Kommandanten näher kommt, immer wieder ungewollt daran erinnert, dass ihre Beziehung zeitlich begrenzt ist, da es keinen Ausweg zu geben scheint.

Fazit
In seinem Werk Dem Volke dienen benutzt Yan Lianke die Geschichte eines einfachen Bauerjungen, um dem Leser die Zeit der Kulturrevolution und des Kommunismus unter Mao näher zu bringen. All dies geschieht jedoch auf sehr unterhaltsame Art und Weise. Es fiel mir leicht das Buch innerhalb kurzer Zeit durchzulesen, da die Geschichte sehr ansprechend und anschaulich geschrieben ist und man wissen will, welches Schicksal Wu Dawang und Liu Lian letztendlich ereilt.
Auch wenn im Buch Dem Volke dienen viele Dinge überzogen dargestellt werden, bietet die satirische Schreibweise auf eine unterhaltsame Art und Weise interessante Einblicke in die Kultur und Denkweise der chinesischen Gesellschaft, insbesondere was die Armee und den sozialen Status betrifft. Man wird sich bewusst, wie sehr Mao und der sogenannte Maoismus das Land und die Leute geprägt haben.
Yan Lianke selbst betonte in Interviews, dass sich die chinesische Gesellschaft der Welt immer mehr öffnet, besonders auch in Bezug auf die Literatur. Die Zeit unter Mao beschreibt er als „Komödie und Tragödie zugleich“, die er als Autor als „grandiosen Stoff“ (Interview mit der Frankfurter Rundschau, 2009) sieht. In China wird es für mich selbst interessant zu beobachten sein, inwieweit auch heute noch der Maoismus Einfluss auf die Gesellschaft hat.
Letztendlich kann ich auf jeden Fall eine Leseempfehlung aussprechen, da das Buch nicht nur zu unterhalten weiß, sondern zugleich auch zum Nachdenken anregt. Das ist es auch, was Yan Lianke besonders unter den Chinesen zu schaffen versucht. Er bemängelt zum Beispiel, dass es in China „einfach nicht viele Menschen [gibt], die gerne nachdenken, denn wer nicht denkt, kann leichter vergessen: die Hungersnöte, die Kulturrevolution, den 4. Juni“ (Interview mit der Frankfurter Rundschau, 2009). In Dem Volke dienen schafft er es mit Hilfe von satirischen Elementen dem Leser chinesische und kommunistische Denkweisen näher zu bringen und zugleich ebendiese teilweise in Frage zu stellen, damit sich seine Leser unweigerlich auch mit diesen politischen Themen auseinander setzen.

This entry was posted in China, Literature review. Bookmark the permalink.

One Response to Buchrezension “Dem Volke dienen” von Yan Lianke

  1. Anna says:

    Hallo Thomas,

    danke für deine ausführliche Rezension, sie war sehr interessant zu lesen und hat auf jeden Fall mein Interesse an diesem Buch geweckt.
    Die Hintergrundgeschichte um den umstrittenen Autor und die Verbote einiger seiner Bücher in seinem Heimatland ist sehr spannend, aber für uns Europäer gleichzeitig irgendwie befremdlich, oder? Ich zumindest kann mir kaum vorstellen, dass man nicht schreiben darf, was man will, sondern fürchten muss, dass die Regierung meine Werke verbietet und meine Kreativität und Meinungsfreiheit unterdrückt. Wie du erzählt hast, lebt der Autor ja aber immer noch in China und ist sogar noch Mitglied der Partei!
    Die Handlung des Buches an sich, sagt mir leider nicht so ganz zu. Irgendwie hat man das Gefühl, die gleiche Geschichte schon 1oo Mal gelesen zu haben; nichtsdestotrotz machen der Hintergrund der Entstehung und die Tatsache, dass das Buch als eine Satire auf die Gesellschaftsregeln des alten China gedacht sind, mich neugierig. Allerdings werde ich glaube ich trotzdem eher das andere Buch, “Der Traum meines Großvaters” zuerst in die Hand nehmen, um den Autor kennenzulernen; einfach, weil mir die Thematik mehr zusagt. Nichtsdestotrotz ist deine Rezension wirklich gelungen!
    Mich würde es sehr interessieren, ob dir während deines Aufenthaltes in China irgendwelche Situationen oder Dinge auffallen, durch die du dich an das Buch erinnert fühlst.

Comments are closed.