Buchrezension – “In der Misosuppe” von RyÅ« Murakami

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Buchdaten:

Titel: In der Misosuppe (Originaltitel: イン ザ・ミソスープ- In za Misosūpu)
Autor: Ryū Murakami (村上 龍) (Übers.: Ursula Gräfe)
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (2. Auflage: 2007)
Erscheinungsjahr: 1997 (jap.) / 2003 (engl.)
Umfang: 208 Seiten
ISBN: 978-3462037333
Preis: 8,95 €

Motivation

Bei der Suche nach einem für die Rezension geeigneten Literaturwerk, war ich zunächst auf die Thematik Samurai, welche mich schon immer faszinierte, fokussiert. Dies sollte sich jedoch nach einer Bibliotheksführung am Landesspracheinstitut in Bochum ändern. Die dort tätige Bibliothekarin stellte verschiedene japanische Werke aus den unterschiedlichsten Bereichen vor, wobei sie zu ‚In der Misosuppe‘ anmerkte, dass sie es auf der Hälfte weg gelegt habe, da die Ereignisse des Romans ihr wortgemäß zu ‚schaurig‘ gewesen seien. Im Zusammenhang mit dem doch eher harmlos erscheinenden Cover erweckte diese Aussage mein Interesse und strahlte einen gewissen Reiz aus, sodass ich noch einmal das persönliche Gespräch mit ihr suchte, in welchem ich erfuhr, dass der Autor Ryū Murakami ein durchaus renommierter japanischer Autor sei, der sich hauptsächlich auf das Verfassen gesellschaftskritischer Romane spezialisiert hat.

Die expliziten Darstellungen sexueller Gewalt seien gerade in diesem Bereich der japanischen Literatur keine Seltenheit und verschaffen einen Einblick in das geheime Leben der japanischen Großstädte sowie die verborgenen gesellschaftlichen Wünsche und Ängste ihrer Bewohner. Nach weiterer Nachforschung in der Bibliothek und dem Durchstöbern verschiedenster Literatur blieb mir schlussendlich die Entscheidung zwischen ‚In der Misosuppe‘ und diverser Romane zum Thema Samurai. Auch wenn Letztere aus historischer Sicht ein hohes Kulturgut Japans darstellen, habe ich mich im Hinblick auf einen bevorstehenden Aufenthalt für ein gegenwärtigeres, mir bis dato unbekanntes Thema entschieden. So machte ich mich voller Neugier daran, in das moderne Japan des Verborgenen und Verbotenen einzutauchen.

Der Autor

Ryūnosuke Murakami (村上 龍之介) wurde am 19. Februar 1952 in Sasebo (佐世保), in der Präfektur Nagasaki (長崎) geboren. Seine Schullaufbahn absolvierte er ebenfalls in seiner Heimatstadt Sasebo. Schon während seiner Jugend übte er die verschiedensten Aktivitäten aus, von Schlagzeugspielen bis hin zu Rugby. Die ersten Erfahrungen im Verfassen eigener Texte machte er in der Schulzeitungs-Redaktion seiner damaligen Highschool, die er im Jahre 1970 erfolgreich abschloss. Murakami pflegte während dieser Zeit Kontakte zur Hippie-Szene, die in schon früh zu gesellschaftskritischem Denken hinführte, was sich nicht zuletzt darin äußerste, dass er mit Gleichgesinnten an Protesten teilnahm, die zum Teil auch kleinere rechtliche Konsequenzen für ihn hatten. Seine Schulzeit scheint prägend für ihn gewesen zu sein, da er sich auch im weiteren Verlauf seines Lebens den verschiedensten Aktivitäten widmete, welche immer wieder mehr oder weniger deutlich Kritik an gesellschaftlichen Missständen durchscheinen ließen.

Nach der Schule führte ihn sein Weg 1972 über die Gendaishichosha School of Art in die Musashino Art University. Dort verfasste er seinen ersten Kurzroman ‚Blaue Linien auf transparenter Haut. Tokio unterm Strich‘, welcher die Themen sexuelle Freizügigkeit und Drogenmissbrauch zum Gegenstand hat. Das Werk erregte 1976 japanweite Aufmerksamkeit und gewann verschiedene Preise u. A. den Gunzo Newcomer Award. Weitere preisgekrönte Bestseller Murakamis sind die Romane ‚Coin Locker Babies‘ (1980) und ‚Piercing‘ (1994), welche auf surreale Weise düstere Themen wie Adoption, Zerstörung und Sadomasochismus gespickt mit Horrorelementen behandeln. Sein Tätigkeitsbereich weitete sich schnell auf das Schreiben von Drehbüchern aus. Der Film ‚Tokio Dekadenz‘ (1992) bei dem er als Regisseur fungierte machten ihn erstmals in der westlichen Welt bekannt. Seit Anfang der 90er fördert er nebenbei kubanische Musiker in Japan und betreibt ein eigenes Plattenlabel. Mitte der 2000er moderierte er eine Talk Show im japanischen Fernsehen und hat seitdem diverse andere Medienprojekte und -firmen betrieben. Insgesamt lässt sich Murakami als sehr vielseitiger Künstler bezeichnen, der seiner Gesellschaftskritik in seinen Werken oft auf drastische Weise Ausdruck verleiht, dabei jedoch gleichzeitig auf elegante Art den Nerv der Bevölkerung zu treffen scheint wie sein großer Erfolg verdeutlicht.

Zum Inhalt

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der junge Kenji der sein Geld als Fremdenführer im Rotlichtviertel Tokios verdient. Das Straßenbild des sogenannten Kabuki-cho ist von dubiosen Massagesalons, Striplokalen und Spielhallen geprägt, eine Welt die für Ausländer vollkommen fremd ist und einen mysteriösen Reiz ausstrahlt. Der Großteil seiner Klientel sind allein reisende Amerikaner die besondere sexuelle Erlebnisse in den etlichen Bars, Love-Hotels und Live-Shows des Bezirks Shinjuku suchen. Als er den äußerst undurchsichtigen Frank als seinen Kunden akzeptiert, beginnen für Kenji drei Nächte in denen er sich auf eine emotionale Achterbahnfahrt begibt. Entsprechend ist ‚In der Misosuppe‘ in drei Teile unterteilt die alle ihren ganz eigenen Spannungsbogen aufbauen. Zunächst glaub Kenji er sei paranoid, als er seinen neuen Kunden aufgrund verschiedener Auffälligkeiten mit zwei extrem brutalen Morden in Verbindung bringt, allerdings untermauern seltsame Beobachtungen an Franks Person und Verhalten seine Verdächtigungen zunehmend. Dabei ist Frank in seiner Art keineswegs unfreundlich, sondern Kenji häufig sogar ein freundlicher Gesprächspartner auf Augenhöhe. Besonders interessant scheint hier das Bild eines westlichen Ausländers in der Wahrnehmung eines Japaners, was für den Protagonisten immer wieder eine große Rolle in Bezug auf das Verhalten spielt. Es sind die kurz aufblitzenden Emotionen im Gesicht seines Kunden in Momenten, in denen seine Wünsche zurückgewiesen werden, die ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen.

Die Folge davon ist neben einer subtilen und surrealen Angst auch, dass Kenji beginnt sich über sein eigenes Leben und die Gesellschaft in den japanischen Großstädten Gedanken zu machen. Was ist zum Beispiel der Grund dafür, dass sich junge Mädchen in einem wirtschaftlich wohl situierten Land wie Japan der Prostitution hingeben? Ist die Beziehung zu seiner Freundin, die den ganzen Roman lang den einzigen Kontakt zur Welt außerhalb des Rotlichtviertels darstellt, ebenfalls durch eine gestörte Psyche belastet? Fragen dieser Art bestimmen Kenjis inneren Monolog während er mit seinem Kunden durch die verschiedenen Etablissements zieht und zum ersten Mal bewusst Zeuge wird, wie die Einsamkeit der Menschen sie in den Abgrund der Lust und Gewalt zieht. Was Kenji zunächst als unnötige Gewalt erscheint nimmt gegen Ende des Romans durch das Eintauchen in Franks verdrehte Psyche kontinuierlich Gestalt an und lässt ihn sowie den Leser alles bis dahin Geschehene hinterfragen und es in einem neuen Licht erscheinen.

Fazit

Insgesamt ist ‚In der Misosuppe‘ ein empfehlenswerter Roman, bei dem der Autor es dreimal schafft, durch die dichte Atmosphäre die sein Schreibstil erschafft, kontinuierlich Spannung aufzubauen und somit drei bedeutende Spannungshöhepunkte zu erreichen, welche allerdings auf unerwartet unterschiedliche Weise aufgelöst werden. Das Buch aufgrund eines Gewaltausbruchs in Verbindung mit einer eher abseitigen Sexualität abzubrechen scheint besonders für sensiblere Leser naheliegend, wird dem Roman aber in seiner Gesamtheit bei Weitem nicht gerecht. Gerade für Leser die durch das erste Auftauchen einer solchen Szenerie geschockt sind, ist es empfehlenswert das Buch durchzulesen, da sich ihre Empfindungen während des Lesens mit denen des Protagonisten bewegen werden und sie die emotionale Entwicklung Kenjis über den Roman hinweg besser nachvollziehen können. Sicher bleibt der ein oder andere Vorfall den Kenji miterlebt langfristig im Gedächtnis des Lesers hängen, verblasst aber schnell zwischen all den interessanten kulturellen Eindrücken, die vermehrt gegen Ende des Werks immer wieder auf wunderbare Art vom Autor Berücksichtigung finden und die Atmosphäre etwas auflockern. Ein Beispiel hierfür ist die eindrückliche Schilderung des typisch japanischen Neujahrsbrauchs, bei dem die Glocken der Tempel um Mitternacht 108 Mal geläutet werden. Andersherum werden Leser enttäuscht werden, die ausschließlich an Gewaltdarstellungen interessiert sind, da diese nur sehr dosiert eingesetzt werden um gesellschaftliche Missstände sinnbildlich zu verkörpern, was vom Leser zudem die Fähigkeit abverlangt, die Botschaften zwischen den Zeilen erkennen und Metaphern interpretieren zu können. Viele Fragen die über das Buch hinweg aufkommen und wesentlich zur Spannung beitragen bleiben leider unbeantwortet, was mir weniger gefallen hat. Allerdings lassen diese viel Spielraum für eigene Gedanken und Interpretationen.

‚In der Misosuppe‘ gehört zwar nicht zu den allerbesten Büchern die ich je gelesen habe, bewegt sich aber im oberen Bereich, was in etwa auch den allgemeinen Ansichten auf diversen Plattformen wie etwa Amazon entspricht. Das Leseerlebnis an sich und der Verlauf der Geschichte waren für mich bis dato einzigartig und sind daher schlecht mit anderen Werken zu vergleichen. Es lohnt sich jedoch definitiv, diesem Werk von Ryu Murakami eine Chance zu geben, eine Tatsache die auch die Bibliothekarin des LSI im Nachhinein von mir erfahren musste.

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