Buchrezension – “Die Wartejahre” von Fumiko Enchi

Die Wartejahre Fumiko EnchiBildschirmfoto vom 2015-06-03 18:51:19

Titel: Die Wartejahre
Originaltitel: 女坂
Autorin: Fumiko Enchi
Ãœbersetzer: Otto Putz
Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag
Erscheinungsjahr Deutschland: 1985
Seiten: 188
Preis: 7,80 DM
ISBN: 978-3499155208

Motivation:

Das Buch las ich im Juli 2012 zum ersten Mal. Damals habe angefangen, mich für Japan zu interessieren und fand in der japanologischen Bibliothek ganz zufällig eine russische Übersetzung von Onnazaka. Ich verschlang sie an einem Tag und schrieb auch ganz mitgenommen meine erste Rezension dafür. Das Buch ist so spannend geschrieben, dass man beim Lesen völlig die Zeit vergisst. Man taucht in die Zeit der Meiji Restauration, in das Japan des 19en Jahrhunderts ein und lebt mit den Figuren und fiebert dem erlösenden (?) Ende des Buches entgegen. Nachdem ich für die ASBE Rezension im Internet recherchierte, fand ich heraus, dass ich nicht die einzige mit diesen Gefühlen war. Auf Amazon.com vergeben die englischsprachigen Nutzer 4,8 von 5 Sternen. In Deutschland gibt es nur eine Übersetzung aus den 1980er Jahren und das Buch ist dem deutschen Publikum leider gänzlich unbekannt. Ich konnte die einzige deutsche Übersetzung in der Bibliothek der Japan Foundation in Köln finden. Diese Version stelle ich auch vor.

Autorin:

Die Autorin Fumiko Enchi gehört zu den japanischen Klassikern des 20. Jahrhunderts. Sie ist die Tochter eines Professors der Tokyo University, der renommiertesten Universität Japans. Sie wurde 1905 geboren und konnte aufgrund ihrer schwachen Gesundheit teilweise nicht die Schule nicht besuchen, weswegen ihr Vater Hauslehrer anstellte, die das Mädchen förderten. Bereits in der Schule (?) begann sie zu schreiben. Der Roman “Die Wartejahre”, wurde 1957, nach achtjähriger Schreibarbeit veröffentlicht und gewann Japans höchsten Literaturpreis, den Noma Literaurpreis. Die Ereignisse, auf denen der Roman basiert, haben tatsächlich stattgefunden und erzählen das Leben der Großmutter Enchis nach.

Inhalt:

Handlung spielt im Japan des 19. Jhd. in der Epoche der Meiji Restauration. Japan, das zuvor allem westlichen und ausländischen fest verschlossen war, öffnet sich dem Westen. Westliche Traditionen, Technologien, Architektur und Mode überfluteten das Land. Aber dieser Umbruch berührte die Familie Shirakawa nicht. Das Familienoberhaupt, der vierzigjährige Yukitomo Shirakawa, ein hoher Beamter in Fukushima, schickt seine Ehefrau, die dreißigjährige Tomo Shirakawa nach Tokio, um für sich ofiziell nach einem Dienstmädchen, aber eigentlich nach einer jungen Mätresse zu suchen. Yukitomo gibt Tomo eine sehr große Summe Geld und befiehlt, ein unerfahrenes jungfräuliches Mädchen von 14-15 Jahren zu finden.

Dieser Auftrag schockiert nicht nur den heutigen Leser. Sogar zu damaligen Zeiten, als die Frau ein unmündiges Dasein im Schatten ihres Mannes fristete, galt solch eine Tat als absolute Abscheulichkeit. Der Mann konnte Mätressen haben, und für einen Mann mit dem Status Shirakawas war es ein Leichtes auch mehrere Mätressen zu haben.

So beginnt unsere Geschichte. Tomo findet ein passendes Mädchen von fünfzehn Jahren und kehrt nach dreimonatiger Suche mit Suga, der zukünftigen Konkubine, die nichts von ihrem Schicksal ahnte. Ihre verarmten Eltern verkauften sie. Zur damaligen Zeit war das nichts unübliches. Töchter wurden in Bordelle und Geishahäuser verkauft und mussten als Konkubinen oder Dienstmädchen die Schulden der Eltern abarbeiten.

Später kauft Shirakawa ein zweites Dienstmädchen, das er ebenso entehrt. Das genügt ihm nicht, und er beginnt ein Verhältnis mit seiner Schwiegertochter, der Ehefrau seines ältesten, geistig behinderten Sohnes. Ein absoluter Tabubruch, der alle Frauen des Hauses verzweifeln lässt, wogegen sie allerdings nichts tun können.

So lebt die Familie Shirakawa in ihrem großen Haus Jahr für Jahr. Tomo, die jahrzehntelang von brennender Eifersucht gequält wurde, empfindet nichts mehr für ihren Mann. Schon lange sind sie Eheleute nur auf Papier. Die einzige Sorge Tomos ist es, die Affären ihres Mannes so gut es geht von der Außenwelt abzuschirmen, und das Familiengefüge nicht auseinanderbrechen zu lassen.
Sie verwaltet die Finanzen und die Güter der Familie. Das Geld des Ehemannes, das aus sowohl redlich verdient ist, aber auch aus Erpressungen und kriminellen Machenschaften stammt, ermöglicht der Familie ein sorgenfreies Leben zunächst in der Provinz und später in Tokio, in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen.

Der Roman ist von der Aussichtslosigkeit und Rechtlosigkeit durchdrungen, die oftmals das Leben japansicher Frauen der damaligen Zeit bestimmten. Doch erstaunlicherweise, obwohl unter einem Dach die rechtmäßige Ehefrau und zwei Mätressen leben, entstehen zwischen den Frauen keine Streitereien. Im Gegensatz versuchen sie sich gegenseitig eine Stütze zu sein und Suga und Yumi werden sogar beste Freundinnen, so merkwürdig es klingt, und bleiben befreundet, bis Yumi das Haus verlässt, um zu heiraten. Sie ist die einzige der Frauen, die aus dem Shirakawa Käfig ausbrechen kann. Tomo erträgt stoisch alle Exzesse Yukitomos. Ihre einzige Hoffnung, ist es, ihn zu überleben.

Der Roman las sich bitter und teilweise sehr schwer und an einigen Stellen empfand ich schlicht und ergreifend Ekel der männlichen Hauptfigur gegenüber. Das Ende war erschütternd. Auf dem Totenbett versucht Tomo endlich, sich Yukitomo gegenüber aufzulehnen. Wie genau? Dafür müsst ihr dieses geniale Buch lesen, das zu den Klassikern der japansichen Literatur gehört.

Fazit:

Der Roman “Die Wartejahre” besticht mit seiner historischen Genauigkeit. Außerdem basiert der Roman auf dem wahren Leben Enchis Großmutter. Wenn man weiß, dass solche Geschichte tatsächlich stattgefunden haben, liest man umso beklommener und mit mehr Spannung, denn sobald man das Buch aufschlägt, vergisst man schnell, dass man selbst im Deutschland des 21. Jahrhunderts ist. Nach den ersten Paar Seiten taucht man hinein, in die Welt der Protagonisten und fühlt, leidet und lebt mit ihnen. Von 10 Sternen vergebe ich 10, und mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine da. Rezensenten auf Amazon und in Literaturforen sind ähnlich begeistert wie ich. Für “Die Wartejahre” vergebe ich eine absolute Empfehlung!

 

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2 Responses to Buchrezension – “Die Wartejahre” von Fumiko Enchi

  1. Katarina says:

    Danke, Alexander! :-)

  2. alexanderrautzenberg says:

    Hallo Katarina,
    vielen Dank für deine gelungene Rezension.
    Ich freue mich, dass du ein Buch gefunden was dir so gut gefällt, obwohl der Inhalt sehr erschreckend ist. Mich wundert es nicht, dass du Ekel vor der männlichen Hauptperson entwickelt hast. Vollkommen verständlich bei solchen Handlungen und der Tatsache, dass das Buch auf einer wahren Begebenheit beruht.
    Ich finde du hast den Inhalt in wenigen Sätzen sehr gut zusammengefasst und auch die eigentliche Absicht des Romans passend herausgestellt. Vor allem wenn ein Auslandssemester in Japan bevorsteht scheint das Buch mit der Darstellung der traditionellen japanischen Welt sehr empfehlenswert zu sein. Der Roman scheint außerdem auf das starke Frauenfigur abzuzielen, welches sich jedoch aufgrund traditionellen Vorstellungen selbst im Weg steht. Deutlich wird auch das ein Zeichen gesetzt werden soll. Dem Mann sind sämtliche Freiheiten erlaubt, während von der Frau absolute Sittsamkeit erwartet wird. Diese Geschichte regt aus diesem Grund stark zum Nachdenken an. Schön ist auch, dass du bei deiner Zusammenfassung das Ende nicht vorwegnimmst und selber zum lesen animierst. Insgesamt finde ich deine Rezension sehr gelungen!

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