Rezension zu “Schwimmen mit Elefanten” von Yoko Ogawa

Schwimmen-mit-Elefanten Cover

Daten zum Buch:
Titel: Schwimmen mit Elefanten
Originaltitel: Neko wo Daite Zô to Oyogu
Autorin: Yoko Ogawa
Verlag: Aufbau Taschenbuch (atb)
Erscheinungsjahr: 2014
Seiten: 318
UVP: 9,99€
ISBN: 978-3-7466-3080-9

Zur Autorin:
Die 1962 in Okayama geborene Yoko Ogawa gehört zu den renommiertesten japanischen Autoren ihrer Generation. Nach ihrem Studium in Tokio widmete sie sich dem Schreiben und konnte mit fast all ihren Werken die Kritiker überzeugen. Für ihre vielfältigen Werke erhielt sie mehrere wichtige Literaturpreise und ein Roman wurde sogar verfilmt. Neben dem hier rezensierten Buch sind insbesondere die Romane “Das Geheimnis der Eulerschen
Formel” und “Das Museum der Stille” weitere bekannte Werke.

Thema und Aufbau des Romans:
In ihrem Roman “Schwimmen mit Elefanten” aus dem Jahr 2009, der 2014 ins Deutsche übersetzt wurde, und auch den Untertitel “Der Poet unterm Schachbrett” trägt, erzählt Ogawa die berührende Lebensgeschichte eines Jungen, der sich dem Schachspiel vollkommen hingibt und dabei beschließt nicht mehr zu wachsen. Dieser fiktionale Roman erstreckt sich auf 318 Seiten, der in 18 Kapitel unterteilt ist und durch 3 hauptsächliche
Schauplätze eine klare Struktur in Eröffnung, Mittelteil und Endspiel erhält, so wie es auch im Schachspiel der Fall ist. Insgesamt zieht sich diese akribische Auseinandersetzung mit dem Schachspiel durch das gesamte Buch, was dem Ganzen eine runde und harmonische Note verschafft, jedoch für Laien auf diesem Gebiet ein wenig langatmig und undurchsichtig werden könnte. Im Vordergrund soll trotzdem die Geschichte des Jungen stehen, auf die man sich schließlich auch einlassen muss, um das Buch durchdringen zu
können. Dabei macht es einem die Autorin, mit der im Verlauf der Geschichte vermittelten Tristesse und ungemütlichen Ruhe nicht immer ganz einfach.

Inhalt des Romans:
Der Junge, der wie die meisten Personen keinen Namen erhält, wodurch es einem schwieriger fällt eine Beziehung zu den Personen aufzubauen, hat es von Beginn seines Lebens an schwer. Er wird mit verschlossenen Lippen geboren, die ihm aufgeschnitten werden müssen. Die entstandene Narbe wird mit einem Stück Haut seiner Wade geschlossen, was ihm später in seinem Leben einen ständigen auffälligen Flaum auf den Lippen beschert. Er wächst anschließend mit seinem kleinen Bruder bei seinen nicht sehr gut situierten Großeltern auf und wird in der Schule zum Außenseiter. An dieser Stelle erscheint einem der Junge wie ein Hikikomori, der japanische Begriff für einen aus dem sozialen Gesellschaftsleben zurückgezogenen Menschen. Seine einzigen “Freunde” sind imaginärer Natur: Zum einen Indira, ein Elefant, der nicht mehr von einem Kaufhausdach herunterkam und dort bis zu seinem Lebensende ausharren musste, da er für den Aufzug zu groß geworden war. Zum anderen Miira, ein Mädchen, das in einen handgroßen Spalt zwischen dem Haus der Großeltern und der Nachbarn, der an das Zimmer des Jungen  angrenzt, gefallen sein soll und dann nicht mehr auftauchte. Passenderweise sind diese Figuren die einzigen, die einen Namen erhalten.
Doch vieles ändert sich im Leben des Jungen als er eines Morgens im Schwimmbecken der Schule einen Toten findet. Er erfährt, dass der Mann in einem Junggesellenheim wohnte und begibt sich interessehalber dorthin. Vor Ort trifft er in einem vor dem Heim stehenden Bus auf einen Mann, der für das Heim arbeitet, aber aufgrund seiner körperlichen Fülle im umgebauten Bus vor dem Heim, zusammen mit einer Katze, wohnt. Die beiden freunden sich an und der Mann lehrt dem Jungen das Schachspielen. Der Junge erweist sich als ein großes Talent und besucht den Meister von da an täglich für 5 Jahre und taucht vollkommen in die Welt des Schachs ein und ist vor allem auf die Schönheit eines Spiels bedacht.
Als er den Meister schließlich zum ersten Mal besiegt, schlägt dieser vor, dass sich der Junge in einem Schachclub (Pazifik-Club) vorstellen soll, um mehr zu lernen. Aufgrund der Eigenart des Jungen Schach nur noch unter dem Tisch zu spielen, verweigert der Club die Aufnahme, auch wenn das spielerische Vermögen Aufsehen erregt. Die Welt des Jungen wird anschließend durch den Herztod des Meisters erschüttert, der nur mittels eines Krans aus seinem Bus geborgen werden kann. Der Junge zieht sich daraufhin für einige Zeit komplett zurück und beschließt, aufgrund der Erlebnisse mit dem Meister und dem Elefanten auf dem Kaufhausdach, nicht mehr zu wachsen. “Größerwerden ist eine Tragödie” zieht sich als Leitspruch durch das gesamte Buch.
Ein neues Kapitel beginnt als der Generalsekretär des Pazifik-Schachclubs dem Jungen einen Besuch abstattet und ihm anbietet in einem geheimen Schachclub (Club am Grund des Meeres), der in den Kellerräumen des Pazifikclubs versteckt ist, als Schachpuppe aufzutreten, indem er eine Maschine bedient, die nur er mit seiner geringen Größe bedienen kann, auch wenn es ihm große Schmerzen bereitet. Ihm zur Seite wird ein Mädchen gestellt, das die Partien aufzeichnet. Der Junge identifiziert dieses Mädchen als seine imaginäre Freundin Miira aus dem Häuserspalt und die beiden entwickeln eine für sich eigene Beziehung zueinander. So entstehen für das Buch und den Jungen vollkommen neue und ungewohnte Gefühlsbeschreibungen. Ãœber 10 Jahre verbringt der Junge so als Spieler der Puppe im Club und erhält aufgrund seiner Spielweise die Bezeichnung “Kleiner Aljechin” als Referenz zu einem der größten Schachspieler.
Doch auch dieses Kapitel im Leben des Jungen wird von einem entscheidenden Erlebnis beendet und er flüchtet sich zusammen mit seiner Puppe, die wie ein Teil mit ihm verschmolzen ist, in ein abgelegenes Altersheim, das auf der Suche nach einem fortgeschrittenen Schachspieler ist, der mit den schachbegeisterten Alten spielt. Diese abschließende sich über mehrere Jahre hinziehende Periode wird zum letzten Kapitel der Geschichte des “Kleinen Aljechin”.

Fazit:
Das Buch weiß nicht unbedingt durch seine erzählerischen Passagen zu überzeugen, sondern vielmehr durch die harmonischen Verstrickungen, die Ogawa immer wieder zieht und so dem Leser die Tiefsinnigkeit des Jungen vorhält. Es werden immer wieder Bezüge gesetzt und Situationen beschrieben, die das Leben des Jungen, das von Stille, Melancholie, Hingabe und Absurdität geprägt ist, widerspiegeln. Die Eigenschaften des Schachspiels spielen dabei eine genauso zentrale Rolle, wie die Gefühlswelt des Jungen, was die Hingabe des Jungen zum Schachspiel perfekt inszeniert. Das starke Eingehen auf das Schachspiel macht es allerdings für nicht ganz so schachaffine Leser schwierig am Ball zu bleiben. Außerdem scheint Schach in seiner Reinform in Japan gar kein allzu weit verbreitetes Spiel zu sein, sondern vielmehr das verwandte Shogi, womit sich die Frage stellt, warum die Autorin so intensiv darauf eingeht.
Nichtsdestotrotz machen die gezielten Verbindungen verschiedener Aspekte im Laufe der Geschichte zum Leben des Jungen das Buch lesenswert und schriftstellerisch wertvoll. Anzumerken ist hier noch, dass ich das Buch schon vor der Zusage zum ASBE-Programm gekauft hatte, da es gute Kritiken bekommen hatte und es sich auch interessant anhörte. Nun hatte ich dann quasi im Zuge des Literaturforums auch die zeitliche Verpflichtung es zu lesen, wozu ich bis dato noch nicht gekommen war. Ich denke, meine Rezension stimmt im weitesten auch in den überwiegend positiven Tenor der allgemeinen Kritiken ein und ich kann den Roman, wenn auch mit kleinen Einschränkungen, weiterempfehlen.

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2 Responses to Rezension zu “Schwimmen mit Elefanten” von Yoko Ogawa

  1. alexanderrautzenberg says:

    Hallo Thorsten,
    vielen Dank für deine interessante Rezension.
    Am Anfang deiner Erzählungen wird sofort klar, dass es sich um einen sehr tragischen Roman handelt. Neben dem Handicap und den imaginären Freunden hat der Junge einige Dinge in seiner Kindheit verkraften müssen. Es ist wahrscheinlich eine normale Reaktion eines bereits introvertierten Jungen nach solchen Vorkommnissen in eine eigene Welt, hier dem Schach, abzutauchen. Durch deine Zusammenfassung lässt sich der Inhalt des Buches sehr gut nachvollziehen. Der Eindruck eines sehr mysteriösen Buches bleibt durchweg erhalten, spätestens wenn die Namen der imaginären Freunde im Schach zum Leben erwecken. Leider konnte ich nach deinen Erzählungen die Rolle des Jungen im „Club am Grund des Meeres“ nicht ganz verstehen, wahrscheinlich scheitert es an meinen mangelnden Schach-Kenntnissen. (Er tritt als Schachpuppe in dem neuen Club an und er muss eine Maschine bedienen die nur er aufgrund seiner geringen Größe bedienen kann). Es handelt sich auf Fall um einen sehr außergewöhnlichen Jungen der viele Dinge so sieht wie es kein anderer tut. Er hat ein schicksalhaftes Leben vor sich und trotz aller Umstände geht er seinen Weg und mach das was ihm im Leben Spaß macht. Mir hat es viel Spaß gemacht deine Rezension zu lesen und finde sie sehr gut geschrieben.

  2. spaetkaroline says:

    Hallo lieber Thorsten,

    zuerst einmal vielen Dank für deine Rezension!

    Dein ausgewählter Roman scheint eine sehr außergewöhnliche Thematik zu behandeln, die auch einen sehr schwer verständlichen ersten Eindruck hinterlässt. Nichtsdestotrotz scheint der Protagonist des Romans eine sehr interessante Persönlichkeit zu sein, über den und über sein Verhalten man wahrscheinlich sehr viel nachdenken kann. Diese Außergewöhnlichkeit scheint sich durch sein ganzes Leben zu ziehen. Angefangen mit dem schwierigen Start. Der Operation, aufgrund der zusammengewachsenen Lippen und der Außenseiterstellung als „Hikikomori“ in der Schule. Gefolgt von dem großen Talent des Schachspielens und der Spieler der Puppe im Club als „kleiner Alejchin“.
    Noch spannender allerdings ist die Gefühlswelt und das Verhalten des Jungen, dass von außen betrachtet kaum nachvollziehbar wirkt und viele Fragen aufbringt. Es scheint so als ob seine beiden imaginären Freunde Indira und Miira sich im späteren Verlauf seines Lebens wiederfinden lassen. Meiner Meinung nach lassen sich Parallelen erkennen zum einen zwischen seinem Meister und Indira, die beide dazu gezwungen sind, den Rest ihres Lebens auf dem Dach bzw. in dem Bus zu verbringen. Und dem Mädchen, das im Schachclub die Partien aufzeichnet und dem seiner imaginären Freundin Miira, die wie du geschrieben hast vom Jungen als diese identifiziert wurde.

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