Yang Jiang: Wir Drei

Titel: Wir dreiwir3

Original: 我们仨 (Womensa)

Autorin: Yang Jiang

Aus dem Chinesischen übersetzt von Monika Motsch

Erscheinungsjahr: 2012 (Original 2003)

Verlag: OSTASIEN Verlag

Umfang: 423 Seiten

ISBN: 978-3-940527-67-7

 

 

Die Autorin:
Yang Jiang (杨绛)wurde 1911 in Beijing geboren. Sie studierte Politikwissenschaften an der Dongwu-Universität in Suzhou, aber ihr eigentliches Interesse galt der Literatur. So ging sie nach ihrem Abschluss an die Fremdsprachenabteilung der Tsinghua-Universität in Beijing. Nach der Heirat mit Qian Zhongshu (1911-1998), gingen die Beiden zum Studieren nach Oxford. 1937 wurde dort ihre einzige Tochter Qian Yuan (1937-1997) geboren. Nach einem weiteren Studienjahr in Paris kehrte die Familie 1938 in das von Japankrieg und Bürgerkrieg zerrissene China zurück. Yang Jiang und ihre Familie flüchteten nach Shanghai, das vorerst von den Japanern verschont geblieben war. Nach der Eroberung durch die Japaner wurde das Leben in Shanghai immer schlimmer: Grausamkeiten der Besatzer, Hunger und Wohnungsnot. Trotz dieser schweren Zeiten gelangen Yang Jiang in den 40er Jahren glanzvolle Bühnenerfolge. Nach dem Sieg der Kommunisten unter Mao Zedong und Gründung der VR China begannen politische Kampagnen gegen Künstler und Intellektuelle. In der Kulturrevolution wurden Yang Jiang und Qian Zhongshu als „Rinderteufel und Schlangengeister“ verurteilt und verächtlich gemacht. Trotzdem gelang es ihr währenddessen eine Übersetzung des Don Quijote anzufertigen. Mit über 70 Jahren startete Yang Jiang ihre zweite schriftstellerische Karriere. Sie veröffentlichte in rascher Folge verschiedene Bücher über die Zeit der politischen Kampagnen, sowie aufrüttelnde Essays über die Kulturrevolution. Der Roman „ Wir Drei“ wurde von Yang Jiang im Alter von 92 Jahren verfasst, nach dem Tod ihres Mannes und ihrer Tochter.

Motivation:

Um die Volksrepublik China zu verstehen, wie sie heute besteht, ist es nötig die Geschichte des „Reichs der Mitte“  kennenzulernen. Der von mir gewählte Roman beschreibt die Zustände und das Leben der chinesischen Bevölkerung im zwanzigsten Jahrhundert. Dieses ist eine Geschichte von Niedergängen und Aufstiegen Chinas. Sie handelt von vielen, teils äußerst gewaltsamen Neuanfängen. Bedrängt, von außen durch die westlichen Kolonialmächte und vor allem Japan, verlor China seine Stellung als weltgrößte Wirtschaftsmacht, die es noch bis ins frühe 19. Jahrhundert innehatte. Seitdem strebt China danach, sich als Nationalstaat in die Welt einzugliedern und zugleich seine herausragende Stellung wiederzugewinnen. Erst heute ist das „Reich der Mitte“ wieder fast so bedeutend wie einst. Der Weg dorthin war weit und hart umkämpft. Wie die chinesische Bevölkerung diesen Weg miterlebt hat wird in „Wir Drei“ beispielhaft an Yang Jiangs Familie beschrieben. Das Leben in dem von Japan besetzten China, die Gründung der VR China, politische Kampagnen und die proletarische Kulturrevolution unter Mao Zedong und der kommunistischen Partei Chinas und insbesondere deren Auswirkungen auf Künstler und Intellektuelle in der Volksrepublik China. All diese Erfahrungen schrieb Yang Jiang in ihrem Roman nieder und hilft somit ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche Auswirkungen die Geschichte auf das heutige China hat.

 

Inhalt:

Der Roman Wir Drei ist eine Familienbiographie, in deren Mittelpunkt das gemeinsame Leben der chinesischen Schriftstellerin Yang Jiang mit ihrem Mann Qian Zhongshu, der ebenfalls Schriftsteller ist, und deren einziger Tochter Qian Yuan steht. Der Roman besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil schildert in Bildern, Träumen und Geisterbegegnungen Krankheit und Tod von Mann und Tochter.

Im zweiten Teil springt die Darstellung in die erinnerte Realität und beschreibt lebhaft und oft humorvoll das Leben zu dritt, beginnend mit der Heirat des jungen Paares Yang Jiang und Qian Zhongshu und dem darauf folgenden Aufenthalt zum Studieren in Oxford. Dort wurde auch ihre Tochter Qian Yuan geboren, die den Mittelpunkt des Lebens der beiden bildet und dementsprechend auch den des Romans. Im weiteren Verlauf wird die Rückkehr in das von Japankrieg und Bürgerkrieg zerrissene China beschrieben. Die grausamen Auswirkungen, die diese Kriege für die chinesische Bevölkerung hatten werden hier beispielhaft am Verlust der Mutter deutlich gemacht, die die Flucht nach Shanghai nicht überlebte. Im Zuge dessen stellte auch die Trennung der Familie diese auf eine harte Probe, da Qian Zhongshu die ersten Jahre im Südwesten Chinas arbeiten musste, während Yang Jiang mit ihrer Tochter bei ihrem Vater und ihrer Familie wohnte. Nach der Besetzung durch die Japaner wurde das Leben in Shanghai immer schlimmer: Grausamkeit der Besatzer, Hunger und Wohnungsnot. Trotz der schweren Umstände tritt das harmonische Familienleben bei der Beschreibung Yang Jiangs immer wieder in den Vordergrund. Vor allem die glücklichen Besuche des Vaters in den Ferien und die raschen Lernerfolge der jungen Qian Yuan, die oft als hochbegabtes Wunderkind beschrieben wird.

Des Weiteren wird geschildert wie der Sieg der Kommunisten unter Mao Zedong und die Gründung der Volksrepublik China miterlebt wurde. Zu Beginn setzte die Familie ihre Hoffnung auf Umwälzung Chinas, um die Zustände, die zu der Zeit herrschten zu verbessern. Dies schien zu Anfang auch der Fall zu sein. Das Ehepaar arbeitete als Professoren an einer Universität. Yang Jiang beschreibt ihr Leben zu diesem Zeitpunkt als sehr angenehm, sodass sie zum Beispiel täglich außerhalb zum Essen eingeladen wurden und sich eine große Wohnung in Beijing leisten konnten. Gleichzeitig macht sie hier allerdings auch auf die großen Gehaltsunterschiede zwischen den Generationen aufmerksam, da die jüngere Generation einiges weniger verdiente für die gleiche geleistete Arbeit. Dies führte zu einer Missstimmung innerhalb der Gesellschaft. Wenig später begannen die politischen Kampagnen gegen Künstler und Intellektuelle, die sich schließlich zum Albtraum der Kulturrevolution steigerten. Im Zuge dessen wurde Yang Jiang zur Umerziehung aufs Land geschickt und ihre Tochter zur Arbeit in eine Stahlfabrik. Auch ist von Freunden und Bekannten der Familie die Rede, die in der Kulturrevolution misshandelt, umgebracht oder in den Freitod getrieben wurden. Yang Jiang und Qian Zhongshu wurden hier als „Rinderteufel und Schlangengeister“ verurteilt und verächtlich gemacht. 1969 wurden sie mit der gesamten Akademie der Sozialwissenschaften zur Umerziehung auf eine Kaderschule auf dem Land geschickt. Als sie 1972 nach Beijing zurückkehren durften, wurde ihre Wohnung durch Einquartierung eines gewalttätigen Paares unbewohnbar. Es folgten die Flucht in das Wohnheim der Tochter an der Universität und der dreijährige Aufenthalt in einem Büroraum der Akademie der Sozialwissenschaften. Erst 1975 erhielt die Familie schließlich eine eigene Wohnung. Besonders Auffällig ist hier, dass die durch die Regierung initiierten Maßnahmen in diesem Roman nicht im Vordergrund stehen, sondern eher die liebevolle Unterstützung der Tochter gund ihrer Freunde bei der Bewältigung dieser schwierigen Situation. Allgemein behauptet Yang Jiang von sich selbst, dass sie und ihr Mann ihr Leben nur mit viel Glück und Klugheit durch „Schweigen“ retten konnten. Qian Yuan muss in ihrem Leben einen schwierigen Balanceakt in der Kulturevolution leisten und für ihre politisch belasteten Eltern hier intelligent vorsorgen. In ihr spiegelt sich beispielhaft die tragische Unmöglichkeit ihrer Generation wieder, ihr Talent voll zu entfalten. Dies wird vor allem dadurch deutlich, dass Yang Jiang sehr oft darauf besteht, dass ihre Tochter sich nicht zu sehr um ihre Eltern sorgen und ihren eignen Interessen nachgehen soll, allerdings gesteht sie sich gleichzeig ein, dass sie auf die Unterstützung der Tochter in hohem Maße angewiesen ist. Dies wird besonders zum Schluss des Romans deutlich, als die Krankheit und der Tod ihres Mannes und ihrer Tochter beschrieben werden.

 

Fazit:

Zusammenfassend würde ich den Roman „Wir Drei“ als sehr lesenswert bewerten um ein Verständnis für die chinesische Geschichte zu entwickeln. Besonders interessant empfinde ich hierbei, dass zum einen das Leben einer Familie von Künstlern und Intellektuellen und die Entwicklung der drei Hauptpersonen die Haupthandlungsebene bilden. Aber auch gleichzeitig die Umwälzung der chinesischen Gesellschaft bis ins 21. Jahrhundert geschildert wird. In China ist Wir Drei heutzutage sehr bekannt, was womöglich darauf zurückzuführen ist, dass Yang Jiang Themen anspricht, die in der Kulturrevolution lange verboten waren, wie beispielsweise liebevolle Familienbeziehungen, die Frage nach dem Sinn des Lebens oder nach dem Tod und der Unsterblichkeit.

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2 Responses to Yang Jiang: Wir Drei

  1. SchumannAngelika says:

    Lieben Dank für deine sehr aufschlussreiche Rezension. Obwohl ich nicht bei deiner Präsentation, insbesondere auch der Vorstellung einer besonders prägnanten Stelle deinerseits, dabei sein konnte, habe ich dank deiner Rezension eine Idee und einen sehr guten Überblick über den Buchinhalt gewinnen können.

    Höchst interessant finde ich, dass die Autorin das Buch „ Wir drei“, das eine Familienbiographie darstellt, mit 92 verfasst hat. Allgemein scheint die Autorin Yang Jiang eine sehr interessante Persönlichkeit zu sein, die das Schreiben so sehr geliebt hat, dass sie mit 70 ihre zweite schriftstellerische Karriere angefangen hat.

    China als „Reich der Mitte“ war einst weltweit die größte Wirtschaftsmacht und ist wieder auf dem Weg dahin, dieser Weg war bzw. ist nicht immer der leichteste gewesen. Erst heute ist das Land wieder fast so bedeutend wie eins. Interessant finde ich diesen Weg aus der Perspektive der chinesischen Bevölkerung betrachten zu können – dies gelingt auf Basis deines ausgewählten Buchs. Denn hier wird beispielhaft an Yang Jiangs Familie beschrieben, wie diese die Entwicklung Chinas erlebt haben – das Leben in einem von Japan besetzten China, die Gründung der Volksrepublik China, politische Kampagnen und die proletarische Kulturrevolution unter Mao Zedong und der kommunistischen Partei Chinas und vor allem deren Auswirkungen auf Künstler und Intellektuelle im Land der Mitte.
    Ich denke, dass man als Fremder mit Hilfe dieses Romans ein Verständnis für China, die chinesischen Kultur und die Geschichte entwickeln kann. Ich hoffe, dass du auf Basis des Romans in der Lage bist die Chinesen besser zu verstehen. Vielen Dank noch einmal für die wirklich gelungene Rezension.

  2. tallgauermaximilian says:

    Als erstes möchte ich dir für deine gelungene und verständlich geschriebene Rezension danken.
    Ich möchte mich dir insofern anschließen, als dass ich ebenfalls die Schwierigkeit sehe, eine tiefgehende Bindung zu rein sachlichen und objektbezogenen Schilderungen zu geschichtlichen Erzählungen aufzubauen. Diesbezüglich hast du dir ein tolles Buch ausgesucht, welches subjektive, emotionale Erlebnisse mit geschichtlich bezogenen Tatsachen scheinbar gut miteinander vereint.
    Darüber hinaus ist es gerade im Bezug auf China essentiell, die geschichtlichen Zusammenhänge zu kennen, um ein Verständnis für die derzeitige Entwicklung dieses Landes zu erlangen.
    Innerhalb des von dem Buch abgedeckten Zeitraumes, werden viele relevante Ereignisse verschiedener Epochen behandelt und thematisiert. Genau das ist wichtig, um gewisse Gebräuche und Traditionen, aber auch das gesellschaftliche Miteinander in China besser verstehen und einschätzen zu können. Diese Mischung aus geschichtlichem Kontext sowie Aufbereitung wichtiger historischer Aspekte und den einfühlsamen und sehr persönlichen Abschnitten der Autoren, scheint das Buch von vielen Anderen abzuheben.
    Insbesondere aufgrund der langjährigen chinesischen Tabuisierung bezüglich der Folgen der Kulturrevolution, finde ich die Perspektive der akademischen und intellektuellen Autoren, die in der Lage ist, den grauenhaften Umgang mit Ihresgleichen zu beschreiben, besonders interessant.
    Dass Yang Jiang daneben auch ihre Familiengeschichte dazu nutzt, fundamentale und philosophische Themen wie den Tod oder den Sinn des Lebens zu behandeln, rundet die thematische und tiefgründige Vielfalt noch ab.
    Abschließend ist für mich zu bemerken, dass du durch deine Rezension definitiv mein Interesse geweckt hast und ich trotz der Tatsache, dass ich nicht nach China gehen werde, dieses spannende Buch im Hinterkopf behalte.

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