Rezension “Das Buch vom Tee” von Veronika Müller

 

buch vom tee

TITEL: DAS BUCH VOM TEE, ORIGINAL: THE BOOK OF TEA
AUTOR: KAKUZO OKAKURA, AUS DEM ENG. NEU ÃœBERSETZT VON KIM LANDGRAF
ERSCHEINUNGSJAHR: 2011, ORIGINAL: 1906
VERLAG: ANACONDA, KÖLN
UMFANG: 95 S.
ISBN: 978-3-86647-682-0
SACHGRUPPE: FOLKLORE

 

 

„Tee war zuerst Medizin und wurde dann zum Getränk“. So beginnt Kakuzo Okakura seine Erzählung über einen Kult, der auf der Verehrung des Schönen und Einfachen inmitten der gemeinen Dinge des Alltags beruht und in Japan als eine Religion des Ästhetizismus etabliert wurde. Teeismus „lehrt Reinheit und Harmonie und bedeutet im Wesentlichen die Anbetung des Unvollkommenen“. Die Philosophie des Tees versucht Mensch und Natur zu vereinen und lehrt uns den einfachen und kleinen Dingen des Lebens Achtung zu schenken. Denn „wer in sich selbst die Kleinheit der großen Dinge nicht fühlen kann, neigt dazu, in anderen die Größe der kleinen Dinge zu übersehen“ (Okakura (2011), S. 9).

Das Buch, das 2011 vom Anaconda Verlag als Neuübersetzung herausgebracht wurde, erschien als Originalausgabe unter dem Titel „The Book of Tea“ zuerst im Jahre 1906 bei Fox Duffield & Co. In New York. Der Inhalt des philosophisch gestalteten Folklorebuches unterteilt sich in sieben Hauptkapitel, in denen die Ästhetik, die Kunst und die Reinheit des Teekultes beschrieben werden. Im ersten Kapitel, das den Namen „Die Schale der Menschheit“ trägt, wird die banale Tätigkeit des Teetrinkens beschrieben, als eine ästhetische Erfahrung, die die japanische Lebensgewohnheit, Kunst und vor allem die Literatur stark beeinflusst hat. In welchem Maße und inwiefern genau der Tee das alltägliche Leben beeinflusst hat, wird erst im Laufe des Buches deutlich. Die wichtigste Aussage des Kapitels bezieht sich jedoch auf das Desinteresse der westlichen Welt die Eigenart und Schönheit des Ostens zu erkunden und sie vor allem verstehen zu wollen. Er kritisiert ausdrücklich die mangelnde Bereitschaft des Westens, ein gewisses Verständnis für die asiatische Kultur aufzubringen und postuliert die Annäherungsversuche des Ostens, die mangelnde Anerkennung von Seitens der westlichen Welt finden. Das gegenseitige Missverständnis zwischen den zwei Welten hat in der Historie viel Verwüstung angerichtet, sodass „wir die Kontinente davon abhalten [sollten], einander mit Spötteleien zu überhäufen und aus dem Schaden klug werden, indem wir den gegenseitigen Zugewinn einer halben Hemisphäre anerkennen. Wir haben uns in unterschiedliche Entwicklungen entwickelt, aber es gibt keinen Grund, warum nicht der eine den anderen ergänzen sollte“ (Okakura (2011), S. 13). Im selben Kapitel beschreibt der Autor in einer kurzen Zusammenfassung die Entstehungsgeschichte des Tees, in der er mehr auf die Einzigartigkeit und die Philosophie des heißen Getränks eingeht als auf geschichtliche Daten.
Im zweiten Kapitel, „ Die Schulen des Tees“, wird die Kunst der Teezubereitung beschrieben, die keine akkurate Anleitung des Teekochens aufweist, sondern die Epochenentwicklung des Tees detailliert erläutert. Jede Teezubereitung ist ein Kunstwerk, die ihre eigene persönliche Note der Blätter, eine besondere Beziehung zum Wasser und Hitze aufweist und ihre eigene Geschichte erzählt. Die verschiedenen Arten das heiße Getränk zu genießen, spiegeln den Geist der Epoche wieder, denn die kleinen Dinge des Lebens und die unbewussten Handlungen sind Ausdruck und Offenbarung unserer geheimsten Gedanken. Die Teezubereitung unterteilt sich in den gekochten, den gebrühten und den geschlagenen Tee, die die Emotionen der Tang-, Song- und Ming-Dynastie Chinas zum Ausdruck bringen. Der Autor geht dabei auf jede Dynastie ein und stellt die unterschiedlichen Teemerkmale der vorherrschenden Zeit dar. Erst am Ende des Kapitels geht er auf das Teeritual in Japan ein und beschreibt eine harmonische, heilige, in sich geschlossene und von der Außenwelt abgeschottete Zeremonie. Im Mittelpunkt steht die Lebenskunst und die reine Begegnung zwischen dem Gast und Gastgeber, die ihnen ermöglicht ein Teil des harmonischen und natürlichen Zusammenspiels zwischen Tee, Blumen und Kunst zu sein.
Im dritten Kapitel wird der Taoismus und Zen-Buddhismus erläutert, die wichtig für die Philosophie und Verinnerlichung des Tees sind, da die Teezeremonie eine Weiterentwicklung des Zen-Rituals darstellt. Die Grundlagen der beiden Glaubensrichtungen werden nicht erläutert, was für den Nichtwissenden die Auseinandersetzung dessen deutlich erschwert. Der Schwerpunkt wird stattdessen auf die Werte des Lebens und der Kunst gelegt, die der Teeismus in sich vereinigt. Der Begriff Tao hat unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten und wird als der Pfad, der Weg, das Absolute oder die höchste Vernunft begriffen. Das Leben wird im Taoismus als relativ angesehen, denn es gibt kein Richtig oder Falsch, keine gefestigten Definitionen und kein Befolgen fester Traditionen. Taoismus steht für Ästhetik und die Kunst des gegenwärtigen Seins. In einer Welt voller Kummer und Sorgen, muss der Mensch versuchen eine für sich definierte Schönheit des Weltlichen zu finden und die Welt aus einem positiven Blickwinkel betrachten. Jeder Einzelne muss dabei seine eigene Harmonie finden, das Gleichgewicht mit der Natur aufrechterhalten und dabei anderen den Raum lassen sich zu entfalten, ohne seine eigene Stellung zu verlieren. „Dem wahren Menschen sind die drei Schätze des Lebens Mitleid, Einsicht und Bescheidenheit“ (Okakura (2011) S. 41). Der Zen-Buddhismus ist der Nachfolger des Taoismus, der in der Meditation den höchsten Grad der Selbstverwirklichung sieht. Auch hier sind die Relativität und die Individualität von hoher Bedeutung, denn nur die eigene Interpretation des Weltlichen ist die Wirklichkeit. Der Teeismus vereint diese Glaubensrichtungen miteinander und appelliert die Größe auch in den kleinen Dingen des Lebens zu sehen. In diesem Kapitel misslingt die akkurate Verdeutlichung der beiden Glaubensrichtungen und der Mangel an genauen Begriffserklärungen erschwert das Nachvollziehen des geschichtlichen Hintergrunds. Jedoch sind die sprachlichen Stilmittel und die offenen Interpretationsmöglichkeiten von herausragender Qualität.
In den nachfolgenden Kapiteln wird akribisch und mit genauem Detail die Gestaltung des Teeraumes erläutert und die Wichtigkeit der Blumen, der Kunst und des Teemeisters herausgestellt. Der Teeraum Sukiya bildet einen Ort der Oase und der Phantasie, der eine schlichte und schmucklose Innenausstattung beherbergt um die Vorstellungskraft nicht zu trüben. Diese Einfachheit hat die japanische Architektur sehr beeinflusst, sodass der japanische Innenraum heute noch mit Schlichtheit charakterisiert wird. Die Dekorationsmotive und die Blütenpracht variieren im Wechsel, um genau einem Motiv die volle Aufmerksamkeit zu schenken. Die Farben und Muster dürfen sich nicht wiederholen und auch die symmetrische Anordnung der Gegenstände wie Vasen, Gemälden oder Statuen ist unerwünscht. Der schlichte, farblose Teeraum bietet einen Zufluchtsort vor der bunten materialistischen Welt und ermöglicht ein friedliches Auseinandersetzen mit der Ästhetik, der Philosophie und des eigenen Selbst. „Im Teeraum bleibt es der Vorstellungskraft jedes einzelnen Gastes überlassen, den Gesamteindruck in Relation zu sich selbst zu vervollständigen“ (Okakura (2011) S. 59). Diese Einfachheit und auch das Teeritual stammen aus den Zen-Klöstern, die ebenfalls alle großen japanischen Teemeister hervorgebracht haben. In der Zen-Lehre finden sich Schriften zur genauen Raumgestaltung, die Säuberung des Teeraumes und die einzuhaltenden Verhaltensweisen des Gastgebers und des Gastes, um einen reinen und harmonischen Prozess des Rituals herzustellen.
Auch in den nächsten Kapiteln gibt der Autor viele spirituelle, teilweise historische Überlieferungen der chinesischen Kultur und der zwei bereits genannten Glaubensrichtungen wieder. Durch die Erzählungen versucht der Autor die Herkunft der Einstellungen zur Kunst und zum Leben zu verdeutlichen. Die zum Teil unstrukturierten wechselnden Themen erschweren jedoch die akkurate Verfolgung des roten Fadens des Buches. Immer wieder werden die Appelle des Autors deutlich, sich der Kunst, der Einfachheit und der Unvollkommenheit zu widmen und die Fähigkeit zu erlangen diese wertzuschätzen. „Die magische Berührung durch das Schöne lässt die verborgenen Seiten unseres Daseins erwachen, wir schwingen und beben im Widerhall seines Rufs“ (Okakura (2011) S.65). Neben der Kunst, ist die Schönheit der Blumen ein wichtiger Aspekt in diesem Buch, die uns Trost, Liebe, Glück und Freude schenken. Einen respektvollen und wertschätzenden Umgang mit dieser Schöpfung der Natur erbittet der Autor, die sich ihrer Verschwendung und Zerstörung nicht widersetzen können. Im Teeraum wird dem prachtvollen Blumenstrauß der Ehrenplatz zugewiesen und jede Form der Ablenkung von dessen Nähe entfernt. Im letzten Kapitel würdigt Kakuzo Okakura die Beiträge der Teemeister zur Kunst, Architektur und Gartengestaltung. Die großen Teemeister verfeinerten die Keramikkunst, die Farben und Schnitte bestimmter Textilwaren aber auch die Lackkunst und die Malerei. Zudem beeinflussten sie die kleinen Dinge des häuslichen Lebens, wie das Servieren des Essens, und lehrten die Menschen die Ästhetik der Einfachheit wertzuschätzen.
Zusammenfassend präsentiert Kakuzo Okakura in seinem Werk Das Buch vom Tee, poetische, philosophische, zum Nachdenken anregende Einblicke in die Welt des Tees und somit in die Geheimnisse japanischer Kultur. Das Teeritual gilt heute als fester Bestandteil japanischer Tradition und kann auf eine lange, von Wandel und Anpassung an gesellschaftliche und politische Verhältnisse geprägte Entwicklungsgeschichte zurückblicken. Okakura schrieb das Buch im Jahre 1906 (nach dem Japanisch-Russischem Krieg 1904-1905) insbesondere für das westliche Publikum, die sich für die asiatische Kultur öffnen sollten um somit die Lebens- und Denkweise des Ostens nachvollziehen zu können. Um die Ästhetik des Tees zu verdeutlichen, schildert Okakura seine Entstehungsgeschichte bis hin zur Moderne, was den Leser mit vielen Begrifflichkeiten und Namen, die nicht näher erläutert werden verwirrt. Die Kapitel weisen zum Teil keinen roten Faden auf, denn der Autor springt von historischen, bis sachlichen und spirituellen Erzählungen hin und her. Bedauerlicherweise wird hauptsächlich die chinesische Historie und Epochenentwicklung wiedergegeben aber auch sonst sind Sprünge zwischen der japanischen und chinesischen Kultur zu vernehmen. Das Unstrukturierte und die fehlenden festen Definitionen der fremden Begriffe soll jedoch das Unvollkommene darstellen, das der Teeismus in sich trägt. Der Leser soll sich selbst eine Struktur schaffen und wird gezwungen über Kongruenzen dieser Art hinwegzusehen um sich sein eigenes Bild zurechtlegen. Jedoch bringt der Autor viele persönliche Empfindungen rein und verdeutlicht oft seine pessimistische Auseinandersetzung mit der Umwelt, was eine autonome und individuelle Bewertung erschwert. Im Großen und Ganzen ist das Buch sehr zu empfehlen, denn es schildert auf einer außergewöhnlich einzigartigen Weise den Einfluss des Tees auf die ganzheitliche Kultur Japans und verdeutlich wie tief das Getränk mit dem Glauben, der Kunst und dem Lebensgefühl verwurzelt ist. Im Zeitalter der Modernisierung und Industrialisierung, das reich an Möglichkeiten, visuellen Eindrücken und materialistischem Überfluss ist, sollten die Menschen die kleinen Dinge des Lebens wertschätzen, die Ästhetik und Harmonie der Natur nicht vernachlässigen und bereit sein die Vollkommenheit der Welt zu erkennen.

 

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3 Responses to Rezension “Das Buch vom Tee” von Veronika Müller

  1. Katarina says:

    Hallo liebe Veronika,

    da ich selbst auch gerne Tee trinke, allen voran grünen Tee, fand ich die Wahl deines Buches sehr gut! Da wir beide nach Japan gehen, hoffe ich, dass wir Möglichkeiten geboten bekommen und sie auch ergreifen, so viel über die Teezeremonie, den Teeanbau und die unterschiedlichsten Teesorten in Japan zu erfahren. Wenn das Semester vorbei ist, werde ich das Buch auch lesen.

  2. mneufeld says:

    Hallo Veronika,

    danke für deine sehr ausführliche und informative Buchrezension.
    Ich werde nach Japan gehen und habe ehrlich gesagt nach genau so einem Buch gesucht. Ein bisschen Folklore, Kultur, und Philosophie in einem.
    Obwohl mir bekannt ist, dass die Teezeremonie in Japan von großem Stellenwert ist, war mich nicht bewusst, dass es ein -ismus, also eher eine Kultur und auch Philosophie ist. Sehr interessant finde ich ebenso die Entstehungszeit des Buches. Besonders Japan fand sich damals krassen Umbrüchen ausgesetzt und entwickelte sich gerade erst von einem feudalen Staat in eine industrielle Großmacht. Als einziges fernöstliches Land war es in der Lage, den imperialistischen Großmächten Europas die Stirn zu bieten. Was ich eigentlich sagen möchte ist, dass ich nachvollziehen kann, wie der Autor sich über die westliche Ãœberheblichkeit empört und das Desinteresse an den asiatischen Kulturen anprangert. Der Tee, welcher von bspw. deutschen Besatzernin China nur als “entkräftendes Gebräu” abgetan wurde, ist dafür ein gutes Bespiel. Dass der Autor nicht nur über die Teezeromonie an sich spricht, sondern auch über die spirituellen wie auch historischen Wurzeln, macht das Buch umso interessanter. Ich frage mich ohnehin des Öfteren, inwieweit die japanische Kultur ihre Wurzeln in der chinesischen hat. Denn trotz der Kriege der Vergangeheit und aktuell wieder aufkeimenden Spannungen, scheinen sie sich dem Teeweg nach näher als man denkt. Die Appelle des Autors an den Leser, den Blick nach innen zu kehren, die Schönheit und Vollkommenheit der Natur zu erkennen und abzulassen von der Ich-Bezogenheit sind heute wohl angebrachter denn je, schauen wir heute doch mehr auf Displays als in Gesichter, geschweige denn auf Blumen.
    Deine Kritikpunkte haben mich darauf eingestimmt, keine leichte Kost zu erwarten und das ein oder andere nachzuschlagen, aber mit der Kraft des Internets sollte dies dem Lesespaß und Wissensgewinn keinen Abbruch tun.
    Danke noch einmal für die Motivation, ich werde das Buch lesen!

  3. SchumannAngelika says:

    Liebe Veronika,

    vielen Dank für deine wirklich sehr ausführliche Rezension. Ich finde die Wahl deines Buches “Das Buch vom Tee” sehr interessant, da es schon ein sehr außergewöhnlicher Titel ist. Ich wusste zunächst nicht, was ich genau erwarten sollte. Dank deiner Rezension konnte ich jedoch einen wirklich sehr guten Ãœberblick über das Buch bekommen.
    Allgemein ist Japan für seine Teekultur, insbesondere den grünen Tee, berühmt, daher finde ich die Wahl sehr treffend. Das Buch scheint wirklich außergewöhnlich zu sein, da der grüne Tee eine bedeutende Rolle in Japan spielt – zunächst als Medizin und dann als Getränk. Der sogenannte Teeismus soll die Anbetung des Unvollkommenen darstellen und lehrt die Reinheit und Harmonie.
    Besonders auffällig ist, dass es sich bei dem in sieben Kapitel gegliederte Folklorebuch fast schon um ein philosophisches Werk handelt. Zusätzlich erschien die Erstausgabe im Jahre 1906. Es werden die Ästhetik, Kunst und die Reinheit der Teekultur beschrieben und interessante Themen aufgegriffen.
    Mir gefällt insbesondere die Beschreibung des ersten Kapitels “Die Schale der Menschheit”. Während hier einerseits die Tätigkeit des Teetrinkens beschrieben wird, werden auch Themen wie das Desinteresse der westlichen Welt die Eigenart und Schönheit des Ostens zu schätzen und verstehen zu wollen kritisiert. Dieses Thema fasziniert mich besonders, da meiner Meinung nach die Asiaten die europäische Kultur teilweise imitieren und so hell wie Europäer aussehen wollen. Vielleicht fällt es nach Lesen des Buches einem als Europäer dann leichter die Japaner und ihre Kultur zu verstehen. Außerdem ist es interessant, dass diese Thematik schon 1906 dem Autor aufgefallen ist.
    Des weiteren würde mich Interessen, in wie fern das Lesen dieses Buches dir geholfen hat Einblicke in die japanische Kultur zu bekommen. Ich würde mich freuen, wenn du nach deinem Aufenthalt in Japan Feedback geben könntest.

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