Buchrezension: Darum spinnen Japaner – Neues vom Wahnsinn des japanischen Alltags

Darum spinnen Japner

Details zum Buch

Titel: Darum spinnen Japaner – Neues vom Wahnsinn des japanischen Alltags

Autor: Christoph Neumann

Erscheinungsjahr: Erstauflage Juli 2013

Verlag: PIPER

ISBN: 978-3-429-30263-0

Preis: 9,99€

235 Seiten

Zum Autor

Christoph Neumann wurde 1967 in München geboren und wuchs in Deutschland auf. 1995 verschlug es ihn zum ersten mal, zunächst als Austauschstudent, nach Japan an die Universität Tsukuba. Im Jahr 2000 wurde ihm der Doktortitel in Computerlinguistik an der Technischen Universität Tokio verliehen. Christoph Neumann ist als Autor, Journalist und Sprachwissenschaftler tätig, hat bisher zwei Sachbücher über Japan veröffentlicht und war lange in der japanischen Talkshow ‘Die spinnen, die Japaner’ als Gast zu sehen. Hauptberuflich arbeitet er allerdings als Softwareentwickler in Tokio.

Motivation

Meine Motivation dieses Buch zu lesen erschließt sich darin, dass es von einem deutschen Autor geschrieben wurde. Es ist interessant für mich die deutsche Sichtweise auf den japanischen Alltag und die Kultur und Sitten zu sehen. Dadurch, dass der Autor viele tägliche Situationen, Missverständnisse oder Erfahrungen von Bekannten beschreibt, bekommt man einen guten Einblick in die Schwierigkeit mit einem deutschen Gemüt und den den typisch deutschen Macken und Erwartungen in deinem Land wie Japan zu leben. Japan gehört als asiatisches Land zu den Länden mit einer ‘high context’ Kultur, was bedeutet dass viel des tatsächlich gemeinten unausgesprochen bleibt unter Gesprächspartnern. Deutschland gehört zu den ‘low context’ Kulturen, was bedeutet, dass wir sagen was wir meinen und für asiatische Kulturen eigentlich viel zu direkt und aufdringlich erscheinen. Es ist wichtig sich diese Problematik bewusst zu machen. Besonders gefallen hat mir die humorvolle Darstellung, sodass man beim Lesen am Ball bleibt und die Lektüre nicht einfach als Fettnäpfchen-Führer sieht.

Inhalt

Neumann beschreibt 18 verschiedene Aspekte der japanischen Kultur, Politik und Wirtschaft in noch mehr kleinen Geschichten und Erzählungen. Viele der Ãœberschriften implizieren einen witzigen Inhalt, wie zum Beispiel ‘Männer – trostlose Samurai’ oder ‘Partys – Feste feiern, wie sie nicht fallen’, und so lesen sich die Kapitel im Endeffekt dann auch. Mich persönlich haben 5 Kapitel besonders angesprochen.

Kawaii:

Kawaii bedeutet süß, niedlich, was in Japan schon eine richtige Lebenseinstellung geworden ist. Neumann nennt es die ‘ewige Sehnsucht nach Zuckerguss im Leben’ und meint, dass niedlich das neue ‘schön’ in Japan ist. Es geht den Japanerinnen darum selbst süß zu sein, so ziehen sie sich dann auch an, möglichst süß, den Comicfiguren nachempfunden, aber auch die Accessoires, wie Handyhülle und Taschenkalender müssen möglichst glitzern und maximal verziert sein. Sogar die Polizei, die eigentlich keinen Grund hat diesem Trend zu folgen, gibt sich Mühe, möglichst kawaii zu erscheinen. So haben die verschiedenen Provinzen Japans unterschiedliche Maskottchen für ihre Polizeipräsidien. Aichi wird so von einer Mandarine mit Mickeymaushänden, Strichgesicht und Polizeikäppi beschützt. Der Entwurf von Hello-Kitty 1974 in Japan gilt als Urknall dieser kawaii-Bewegung, die soweit geht, dass die Millionenstadt Fukuoka 2011 sogar einen ‘virtuellen Stadtbezirk Kawaii’ entworfen hat, mit komplett rosa gehaltenen Internetseiten.

Geister und Aberglaube:

Es scheint laut Neumann, dass die Japaner ganz besonders gläubig und besonders abergläubig sind. Die meisten Japaner gehören gleich zwei Religionen an und mit Quoten von 90% Schintoismus, 80% Buddhisten und 2% Christen, zählen sie laut Fischer Weltalmanach als spirituelles Supervolk. So viel zum Thema Glaube, nun zum Aberglauben. Neumann erzählt in diesem Kapitel die Geschichte seiner Wohnungssuche, die sich in dem eng bevölkerten Tokio als langwierig und schwierig herausstellte, da Wohnungen teuer und begehrt sind. Als er aber von einer mutigen Maklerin eine ganze Liste von preisgünstigen Wohnungen erhält, erfährt er dass die meisten Japaner so abergläubig sind, dass sie niemals in Wohnungen in denen Brände, Unfälle oder gar Tode geschehen sind, da die Seelen von Verstorbenen dort verweilen. Ein ganz neuer Wohnungsmarkt also, der sich für taffe Ausländer auftut.

Gefängnis und Justiz:

In Japan gibt es Gefängnisse, in denen darf ein gefangener eigenen Besitz haben, alle zwei Tage Vollbäder nehmen und den ganzen Tag ungestört Karten spielen oder fernsehen. Dann gibt es die Verwahrcenter, in die Verdächte kommen, wenn sie noch in Untersuchungshaft sind. Winzige Zellen, ohne eigenen Besitz, ohne Kontakte nach außen, gestrichen in aggressiven Gelb. Kein Wunder, dass 80% der Verdächtigen in Untersuchungshaft nach 3 Wochen von selbst die Tat gestehen, da sie es einfach nicht mehr aushalten wie sie behandelt werden. Sie wollen freiwillig ins richtige Gefängnis. Außerdem werden sowieso ca 99% der Verdächtigen, die einem Richter vorgeführt werden schließlich schuldig gesprochen. Woran das liegt? Neumann vermutet der Richter möchte die Staatsanwaltschaft nicht vorführen, damit sie ihr Gesicht wahren können. Ist die japanische Justiz in solchen Fällen doch recht unflexibel, so scheint sie in anderen Fällen unverhofft milde. So wurde den Verantwortlichen bei der Atomkatastrophe 2011 in Fukushima zwar kräftig auf die Finger geklopft, und sie mussten sich öffentlich entschuldigen und in einem 90°-maximalem-Reue-Winkel verbeugen, doch rechtliche Schritte wurden nicht eingeleitet.

Jobs:

Das unvermeidliche Thema, wenn es um Japan geht, ist natürlich die Arbeit. Auf der ganzen Welt ist bekannt wie hart und leidenschaftlich Japaner Arbeiten müssen und wollen. Überstunden gehören nämlich zu der erwarteten Arbeitsleistung bereits dazu. Sie sind bis zu einer Anzahl von 40 Stunden im Monat in der Arbeitszeit mit inbegriffen und werden am der 41. Stunde mit 125% des Gehalts entlohnt. Außerdem dauern die Arbeitstage nicht selten bis 23Uhr abends, was ein Familienleben fast unmöglich macht.

Das Kapitel, welches mich am meisten beeindruckt hat, ist allerdings das Kapitel ‘Erdbeben’. In diesem Kapitel beschreibt Neumann den 11.März 2011, den Tag an dem ein starkes Erdbeben und schließlich ein Tsunami die Katastrophe in Fukushima auslösten. Gibt es solche Erlebnisberichte zu Hauf vom 11. September, ist ein solcher Bericht von den Ereignissen aus Japan doch eher selten. Es ist extrem interessant zu lesen, wie das Land auf die Ereignisse reagiert und eigentlich erst nach und nach merkt wie extrem die Situation und wie verheerend die Folgen doch sind.

Fazit

Ich kann das Buch eingeschränkt weiterempfehlen, da ich es zwar sehr ansprechend und interessant fand, besonders mit den vielen Anekdoten und dem lockeren Schreibstil des Autors. Allerdings denke ich, dass viele der Themen, so wie sie dargestellt wurden sehr negativ empfunden werden können. Mir persönlich macht das nichts aus, da ich mir in meiner Zeit in Japan meine eigene Meinung bilden werde, doch viele Japan-Liebhaber werden dem Buch vermutlich nicht positiv gesinnt sein. Man sucht stellenweise die Affektion, die Neumann dem Land gegenüber doch empfinden muss, wenn er so lange dort wohnt.

Nichtsdestotrotz bekommt man durch das Buch einen guten Einblick in die japanische Kultur und einen Eindruck davon, wie es sein wird dort zu leben. Meine persönliche Vorfreude ist kein Stück geschmälert und ich freue mich darauf den Japanern mit ihren charmanten Macken unsere liebenswerten deutschen Macken zu zeigen.

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4 Responses to Buchrezension: Darum spinnen Japaner – Neues vom Wahnsinn des japanischen Alltags

  1. KrauseFlorian says:

    Hey Jona,
    vielen Dank für diese Rezension. Es scheint sich hier um das Gegenbuch zu meinem Trauerspiel zu handeln, das finde ich direkt äußerst erfrischend. Mir gefällt direkt, dass es sich bei dem Autor um einen ‘Gaijin’ handelt, der auch tatsächlich in Japan lebt und arbeitet. Anders als ein Reisender mit nur wenigen Wochen Erfahrung kann dieser sicherlich eine weitaus bessere Auskunft geben.
    Mir haben besonders zwei angesprochene Teile gefallen. Zunächst die ‘Kawaii’ Kultur. Ich habe direkt Google-Bilder geöffnet und eine kleine Reizüberflutung von rosafarbenen Tieren und Regenbögen bekommen. Dass die Polizei in Japan sich diesem Trend anschließt, ist mir genau so unerklärlich wie faszinierend. Das zweite Interessante Thema, welches du gut angeschnitten hast, ist der Umgang der Japaner mit dem Fukushima Unglück. Hier zeigt sich wieder der direkte Kontrast innerhalb dieser Kultur durch den Umgang mit empfindlichen Themen.
    Das Fazit war sehr unterhaltsam geschrieben und übersichtlich unterteilt – Vielen Dank!

  2. ErMuammer says:

    Liebe Jona,

    vielen Dank für deine ausführliche und informative Rezension, durch die ich nicht nur einen guten Überblick über den Inhalt des Buches bekommen habe, sondern auch dazu angeregt wurde, mich näher mit der japanischen Kultur zu befassen.

    Die Tatsache, dass Japan zu den „high-context“ und Deutschland zu den „low-context“ Kulturen gehört, war mir bisher nicht bekannt. Gerade im Hinblick auf die zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft sollte man die Unterschiede zwischen nationalen Kulturen kennen und sich über die verschiedenen Entscheidungsverhalten im Klaren sein, um zum einen internationale geschäftliche Beziehungen erfolgreich zu unterhalten und zum anderen Missverständnisse zu vermeiden. Weiterhin war es interessant für mich zu erfahren, dass die Mehrheit der Japaner sowohl dem Shintoismus als auch dem Buddhismus angehört. Über die friedliche Koexistenz der beiden Religionen sowie über den von dir beschriebenen stark ausgeprägten Aberglauben der japanischen Bevölkerung würde ich sehr gerne mehr erfahren. Besonders gelungen finde ich deine Zusammenfassung der fünf ausgewählten Kapitel, da sie die Neugier auf die restlichen Kapitel wecken. Spannend finde ich insbesondere das Kapitel, in dem es über die Verhältnisse in japanischen Gefängnissen geht. Meiner Meinung nach kann die Praktik, mutmaßliche Täter in sogenannte Verwahrcenter zu stecken, zwar einerseits zu schnelleren Schuldgeständnissen führen, andererseits kann sie jedoch auch die Zahl unschuldig im Gefängnis sitzender Menschen erhöhen.

    Ich bin gespannt, ob du während deines Aufenthalts in Japan noch weitere interessante Unterschiede kennenlernen wirst und hoffe, dass du uns nach deiner Rückkehr eventuell darüber berichtest.

  3. SchumannAngelika says:

    Liebe Jona,

    zunächst einmal lieben Dank für deine sehr aufschlussreiche Rezension. Ich habe einen wirklich sehr guten Einblick und auch Ãœberblick in das Buch gewinnen können. Schon allein der Titel “Darum spinnen Japaner – Neues vom Wahnsinn des japanischen Alltags” weckt das Interesse zum Lesen des Buchs.

    Neben dem sehr gelungenen Titel ist mir auch positiv aufgefallen, dass es sich bei dem Autor Christoph Neumann um einen Deutschen handelt, der zur Zeit in Tokio lebt und hauptberuflich arbeitet. Somit kann er uns Deutschen sehr gut einen Einblick in den japanischen Alltag und die Unterschiede der beiden Kulturen vermitteln, da er als Deutscher selbst vieles schon erlebt haben dürfte.

    Die deutsche Sichtweise auf den japanischen Alltag, die Kultur und die Sitten vor dem Hintergrund der “high Context” Kultur empfinde ich als sehr spannend. Auch die besonders humorvolle Darstellung des Autors klingt wirklich gelungen und weckt das Leseinteresse. Deine angesprochenen Lieblingskapitel würden auch mich sehr interessieren, die Titel klingen wirklich vielversprechend. Mein besonderes Interesse gilt insbesondere den Themen: Erdbeben, Aberglaube und Geister und Kawaii. Das Buch scheint wirklich viele Aspekte der japanischen Kultur abzudecken.

    Interessant wäre es zu wissen, ob du das gelesene ähnlich erleben wirst bei deinem Auslandsaufenthalt in Japan. Ich würde mich freuen von dir entsprechendes Feedback zu bekommen!

  4. spaetkaroline says:

    Hallo liebe Jona,
    zunächst einmal vielen Dank für deine Rezension. Dein ausgewähltes Buch scheint lesenswert zu sein, was meiner Meinung nach vor allem an dem humorvollen und lockeren Schreibstil liegen könnte. Auch deine Motivation kann ich sehr gut nachvollziehen. Wie schon bei dem Buch von Jaqueline „Zehn“ finde ich es sehr Interessant Erfahrungen aus der Sicht eines Nicht-Japaners zu erhalten, da ich denke dass man in einer fremden Kultur vor ähnlichen Problemen stehen wird und auch die Denkweise unter Umständen Ähnlichkeiten aufweisen könnte. Es scheint so, als ob der Autor eine teilweise kritische Ansicht bezüglich verschiedener kultureller Aspekte Japans hat, dieses jedoch humorvoll darstellt, was meiner Meinung trotz der Kritik die Bildung einer eigenen Meinung fördert und dazu gleichzeitig amüsant ist.
    Auch die von dir kurz beschriebenen Kapitel behandeln meiner Meinung nach sehr spannende Themen. So wirkt der starke Aberglaube für uns Europäer extrem übertrieben, allerdings zur gleichen Zeit ist es auch interessant zu erfahren, was von den Japanern als Unglück bringend angesehen wird. Auch die, wie sie vom Autor bezeichnet wurde, „Lebenseinstellung Kawaii“ hinterlässt zunächst einen sehr merkwürdigen Eindruck. Aber diese Unterschiede der Kulturen machen natürlich auch das interessante eines Auslandsaufenthalts aus und so hoffe ich, dass du und deine Kommilitonen zahlreiche solche Erfahrungen machen werdet.

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