Wenn Mao das wüsste – Menschen im neuen China

Details zum Buch

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Titel: Wenn Mao das wüsste – Menschen im neuen China

Autor: Janis Vougioukas

Erscheinungsdatum: 27. Februar 2008

Seitenzahl: 208

Verlag: Herbig, Auflage 1

Sprache: Deutsch

ISBN: 978-3-7766-2560-8

Preis: 4,99 Euro (Gebundene Ausgabe)

 

Ãœber den Autor

Janis Vougioukas, Jahrgang 1976, studierte an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und der Deutschen Journalistenschule in München. Seine erste Zeit in China verbrachte er während eines Auslandssemester an der Pekinger Capital Normal University, woraufhin er sich intensiver mit dem Land auseinandersetzte.

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Nach seinem erfolgreichen Studium in Journalismus ging er im Juni 2002 nach Shanghai. Er arbeitete zunächst als freier Autor. Jeden Tag schrieb er diverse Artikel: Von Bauarbeitern, die in den Rohbauten der Wolkenkratzern leben, von chinesischen Rockstars, von der ungeduldigen Lebenslust der glänzenden Boomstadt Shanghai, bis hin zu Familien, die an Abwasserkanälen leben und so arm sind, dass sie ihre Malzeiten mit verseuchten Wasser kochen müssen.

Vougioukas lernte die verschiedenen Seiten und die gegensätzliche Lebenskultur Chinas kennen. Seine Texte erschienen unter anderem in Magazinen wie Geo Special, GQ, Max, Cicero, Brigitte, der WirtschaftsWoche und dem Greenpeace-Magazin. Von 2006 bis Anfang 2009 berichtete Vougioukas als Wirtschaftskorrespondent für die Süddeutsche Zeitung. Seit März 2009 arbeitet er als Ostasien-Korrespondent für den Stern.

 

Thematik und Intention des Autors

Wie Vougioukas berichtet, wirkt China auf ihn von Anfang an sehr widersprüchlich und desto mehr er sich mit diesem Land befasste, umso unzugänglicher und verwirrender erschien es ihm. Um dieses Land begreifen zu können, muss man es daher wie „mit dem Mikroskop“ betrachten, so sagt er.

Sein Buch handelt daher von einzelnen Menschen im neunen China, die ihm im Laufe seiner Recherchen für Zeitschriften und Artikel begegneten und dessen Lebensgeschichten ihn ganz besonders fasziniert haben. Durch die detaillierten Ansichten dieser Menschen und dessen einzigartigen Lebensgeschichten versucht er das Bild der chinesischen Gesellschaft zusammenzufügen. Dem Leser sollen so die Lebensweise, Ansichten und die Kultur der Chinesen näher gebracht werden und ihm somit helfen das Land und die Menschen besser zu verstehen.

 

Inhalt und Aufbau des Buches

Das Buch handelt von 23 einzeln betrachteten Menschen unterschiedlichen Alters und aus den unterschiedlichsten Regionen Chinas: Aus Metropolen wie Shanghai oder kleinen unbekannten Dörfern im Hinterland. Auf einige Lebensgeschichten geht Vougioukas ausführlicher ein als auf andere. Er erlaubt somit zum Teil tiefe Einblicke in das Leben und die Privatsphäre der Menschen. Dabei entsteht eine zeitliche Einordnung in Abhängigkeit vom Alter der jeweiligen Persönlichkeit. Die Zeitspanne umfasst somit etwa die letzten 90 Jahre. Aus diesem Grund spielt vor allem der Kommunismus, die Ausrufung der Volksrepublik China, die Kulturrevolution durch Mao und Chinas wirtschaftliche Öffnung eine bedeutend Rolle.

Durch die Darstellung einzelner Lebensgeschichten gelingt dem Autor zudem etwas ganz Besonderes. Denn jede Lebensgeschichte steckt voller einzigartiger Erfahrungen und erlaubt somit Einblicke in die unterschiedlichsten kulturellen Aspekte des chinesischen Lebens. So erzählt das Buch beispielsweise darüber, wie ein chinesischer Student die westliche Musik und den Rock ’n’ Roll nach China brachte, wie Menschen für die Meinungsfreiheit ihr Leben riskieren, welchen Einfluss der Tourismus auf die Kultur ausübt, warum der Kampf gegen die Piraterie aussichtslos erscheint, wie Chinesen eine moralische Stütze und Halt im Christentum finden, wie viel Macht der Staat über seine Bevölkerungen ausübt und wie eine arme Chinesin zur reichsten self-made Unternehmerin der Welt wurde.

Jede Lebensgeschichte steckt voller neuer Erfahrungen und Ansichten, welche Neugier bei dem Leser wecken. Im Gesamtbild lassen sich zudem die einzelnen Lebensgeschichten vergleichen oder gegenüberstellen, wodurch sich gegensätzliche Standpunkte zeigen. Arm und Reich, Kommunismus und Kapitalismus, Tradition und Moderne stehen sich somit oft gegenüber. Auf der einen Seite die armen Bauern oder Fließbandarbeiter und auf der anderen Seite der Millionen-Investor in Shanghai. Die Lebensgeschichten lösen folglich unterschiedliche Emotionen aus. Einigen steht man mit Bewunderung, Erstaunen und Freude gegenüber; Anderen mit Mitleid, Wut oder Verständnislosigkeit. Aufgrund des rasanten Wandels Chinas wird jedoch deutlich, dass sich die Bevölkerung, und so auch das Bauernmädchen La Namu, auf die „Suche nach der eigenen Kultur“ gemacht hat und die Menschen vor der “Entscheidung zwischen Tradition und Moderne, Heimweh und Sehnsucht” stehen.

Da es sich um unterschiedliche Persönlichkeiten handelt, sind die einzelnen Abschnitte nicht aufeinander aufbauend. Im Folgenden wird exemplarisch auf eine Lebensgeschichte genauer eingegangen:

 

„Widerstand mit dem Laptop: Zeng Jinyan“

Zeng Jinyan ist 23 Jahre als und lebt mit ihrem Mann zusammen in Peking. Sie ist eine von mehr als 34 Millionen Bloggern in China. Doch worüber sie in ihren Blogs schreibt, traut sich kaum jemand. Das Internet hat das Land revolutioniert. Die Menschen konnten sich nun auf eine ganz andere Weise miteinander austauschen und vor allem die Wahrheit erfahren, wenn die Regierung versuchte diese zu verbergen. Jinyan berichtet von hilfsbedürftigen Menschen und dem Gefühl der Machtlosigkeit. Sie schreibt über die „Opfer des Systems.“ Ihr Ehemann wurde bereits mehrfach von der Polizei ohne offiziellen Grund festgenommen. Zuletzt verschwand er für 6 Wochen und wurde anschließend abgemagert in der Stadt abgesetzt. Die Polizei tat ratlos und bis heute wurde ihm keine Straftat vorgeworfen. „Zum ersten mal hatte die Kommunistische Partei die Kontrolle über die Informationen verloren“ und versucht diese nun durch neue Gesetze zurückzugewinnen. Jinyan’s Blog wurde mittlerweile gesperrt. Unter falschen Namen wurden ihre Beiträge dort zahlreich kommentiert. Laut Jinyan schenkten ihr sogar einige Polizisten Beachtung. Sie sagt: „Ich glaube, dass auch China sich ändern wird“. Zurzeit hält sie sich in Hongkong auf. Solange ihr Visum gültig ist, will sie dort neue Kraft sammeln, denn sie weiß, dass sie für ihren Mut bestraft werden kann. Aber sie ist überzeugt: „Wenn man mit seinem Herzen im Reinen ist, braucht man keine Angst zu haben.“

 

Sprache und Stil

Die Lebensgeschichten der 23 porträtierten Personen sagen viel mehr aus als nur über das Leben eines einzelnen Menschen. Die Erzählungen vermitteln einen tiefen Einblick in die chinesische Kultur, ihre Werte, Traditionen, Sichtweise und das Land selbst.

Vougioukas benutzt eine sehr lebendige Sprache. Neben den detaillierten Beschreibungen lässt die wörtliche Rede bzw. die Zitate aus den Erzählungen die geschilderte Situation sehr nah erscheinen. Einige Erlebnisse und Erzählungen wirken so lebhaft, dass man meint sich selbst irgendwo in China zu befinden und den jeweiligen Personen über die Schulter blicken zu können oder ihnen persönlich zuzuhören, wie sie ihre Geschichten erzählen. Durch den gezielten Einsatz von Vergleichen, Metaphern und weiteren rhetorischen Mitteln wird der Leser zusätzlich zum Nachdenken angeregt und dazu veranlasst bestimmte Sichtweisen zu hinterfragen. So zum Beispiel die Aussage einer jungen Chinesin, die als Fließbandarbeiterin von einem Leben in der Stadt träumt: „Der Mensch braucht Hoffnungen, Ziele, Träume, sonst verkümmert das Herz, wie eine Pflanze ohne Sonne“. Oder die Anspielung auf die Arbeitsbedingungen durch den folgenden Vergleich: „Die Wanderarbeiter sind die modernen Sklaven des Westens“.

Im Ganzen bietet das Buch einen großen Interpretationsspielraum. So beispielsweise auch in Bezug auf die Ansichten der Bevölkerung gegenüber ihrer Regierung oder welchen Herausforderungen sich China in Zukunft stellen muss. Zum besseren Verständnis werden außerdem an vielen Stellen Hintergrundinformationen zu der jeweiligen Region oder geschichtlichen Ereignissen angesprochen. Hierdurch besitzen die Erzählungen auch auf sachlicher Ebene einen hohen Informationsgehalt.

 

Abschließende Bewertung und Fazit

Meine Erwartungen bei der Buchwahl waren vor allem mehr über das Land zu erfahren und mich somit auf China vorzubereiten bzw. ein genaueres Bild davon zu bekommen, was ich dort zu erwarten habe. Vougioukas erfüllt mit seinem Buch allemal diese Erwartungen. Man gewinnt nicht nur tiefe Einblicke in das Land China, sondern auch in dessen Geschichte, Kultur und Traditionen und ganz besonders in das Leben der Menschen. Interessante Hintergrundinformationen und passende Fotos zu ausgewählten Abschnitten dienen als sinnvolle Ergänzungen. Als einzigen Kritikpunkt würde ich anmerken, dass ein zusätzlicher Schlusskommentar hilfreich wäre, um das Buch abzurunden.

Aufgrund der unterschiedlichen Standpunkte und Erlebnisse der 23 beschriebenen Personen, wird der Wandel Chinas aus unterschiedlichen Augen und von unterschiedlichen Sichtweisen aus betrachtet. Dadurch gelingt es dem Autor ein ausgewogenes und objektives Bild von China aufzuzeigen, was dem Leser erlaubt seine eigene Meinung zu bilden.

Zusammenfassend hat Vougioukas seine Intentionen erfolgreich verfolgt. „Wenn Mao das wüsste – Menschen im neuen China“ ist ein spannendes und äußerst lesenswertes Buch. Es ist nicht nur als Vorbereitung für das Land China geeignet, sondern auch für diejenigen empfehlenswert, die bereits dort waren oder sogar dort leben. Einige Erzählungen werden sicherlich noch immer für Erstaunen sorgen. Andere werden dazu anregen das Leben von einer neuen Sichtweise zu betrachten oder manche Dinge mit anderen Augen zu sehen und zu hinterfragen.

 

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3 Responses to Wenn Mao das wüsste – Menschen im neuen China

  1. scheibnerl says:

    Hallo Sascha,

    auch ich kann mich meinen beiden Vorkommentatorinnen nur anschließen. Das Lesen deiner Rezension hat mir viel Spaß bereitet und mich definitiv dazu begeistert das Buch „Wenn Mao das wüsste – Menschen im neuen China“ zu lesen.
    Auch kann ich mich deinem Abschlussstatement anschließen, dass die Geschichten noch immer (und trotz der vielen Medien- und Berichtserstattungen) den Leser zum Staunen bringen können. Definitiv bringen sie den Leser dazu das Leben in China mit neuen Blickwinkeln zu betrachten und zu hinterfragen.

    Gelungen finde ich an diesem Werk (und auch bei vielen anderen hier vorgestellten Büchern), dass durch die Darstellung verschiedener Personen und Lebensstile die Gegensätze Chinas überzeugend dargestellt werden. Vougioukas nimmt weder eine sehr verblümte noch eine sehr pessimistische und kritisierende Seite ein, sondern stellt vielmehr die kontrastreichen Schicksale der Personen zwischen Moderne & Tradition; Armut & Reichtum sowie Kommunismus & Kapitalismus dar.

    Neben der Zusammenfassung des Buchinhaltes finde ich die Einzelgeschichte, welche du ausgesucht hast, sehr beeindruckend. Viele Lebensstile die im Rahmen der ASBE Buchrezensionen vorgestellt wurden beschäftigten sich mit Themen wie der Rolle der Familie, Rolle der Frau, Wirtschaft & Handel oder Fettnäpfchen, während du mit der Geschichte der Zeng Jinyan die Thematik Presse-und Redefreiheit ansprichst. Für mich ist Zeng Jinyan definitiv eine kleine Heldin, denn obwohl sie weiß dass sie bestraft werden wird und ihr Blog gesperrt wurde, hält sie daran fest, über die Missstände Chinas zu berichten.

  2. weidenkellerm says:

    Hallo Sascha,

    ich kann mich meiner Vorrednerin nur anschließen. Auch ich hatte viel Freude beim Lesen deiner Buchrezension.

    Deiner Schilderung zufolge scheint dem Autor des Buches etwas ganz besonderes gelungen zu sein: Durch die Betrachtung der Lebenswege unterschiedlichster Einzelpersonen, führt Vougioukas den Leser in viele Aspekte des chinesischen Lebens ein und generiert somit ein ausbalanciertes Bild der Gesellschaft.

    Insbesondere gefällt mir, dass das Buch keine theoretische Abhandlung darstellt, sondern versucht lebendige Einblicke in ein faszinierendes Land und das Leben seiner Einwohner zu vermitteln. Die Hintergrundinformationen zu den jeweiligen Regionen oder geschichtlichen Ereignissen scheinen die Schicksalserzählungen sinnvoll zu untermauern und unterstützen eine objektivere Sichtweise.

    Auch ich habe einen Monat in Shanghai gewohnt und es scheint mir, dass dieses Buch für jemanden der sich mit China bereits auseinandergesetzt hat, eine augenöffnende und spannende Lektüre darstellt. Für Personen, die gerade anfangen sich mit dem Land China zu beschäftigen, sollte Vougiokas Buch eine Pflichtlektüre sein.

    Mich hast du auf jeden Fall neugierig mit deiner Rezension gemacht und ich freue mich darauf meine Erlebnisse und Erfahrungen in China mit Hilfe des Buches wieder aufzuarbeiten und Vergleiche schließen zu können.

  3. warneckec says:

    Hallo Sascha,

    das Lesen deiner Rezension hat mir viel Freude bereitet. Auch wenn ich bei deiner Präsentation, sowie bei der Vorstellung einer besonders prägnanten Stelle deines Buches nicht dabei sein konnte, habe ich dennoch dank deiner Rezension einen guten Überblick über den Inhalt des Buches bekommen können.

    Besonders spannend finde ich, dass du ein Buch gewählt hast, welches nicht von einem einheimischen (sprich chinesischen) Autor verfasst wurde. Janis Vougioukas ist ebenso wie wir ein Ausländer, der versucht Einblicke in ein spannendes und faszinierendes Land zu gewinnen. Die Idee des Autors 23 verschiedene Einzelschicksale zu porträtieren gefällt mir ebenso wie dir besonders gut.
    Das Buch scheint also wirklich, wie du es ja auch selber sagst, ein Querschnitt durch die chinesische Gesellschaft zu sein. Deiner Rezension zufolge gelingt dies in einer authentischen und gleichzeitig mitreißenden Art und Weise. Dies wird auch sicherlich von den im Buch enthaltenen Fotos unterstützt.

    Deinen Ausführungen zufolge vermitteln die Geschichten einen tiefen Einblick in die chinesische Kultur, ihre Werte, Traditionen und Sichtweisen. Meiner Meinung nach sind die thematisierten Begriffe wie Politik, Mentalität oder die Befindlichkeit der Menschen große Wörter die sich nur schwer begreifen lassen. Verbunden mit menschlichen Schicksalen bringt uns dieses Buch diese jedoch näher und gibt uns ein Gefühl für das “große Ganze”.

    Besonders fasziniert hat mich bei meinem Besuch in China das Aufeinandertreffen von Tradition und Moderne, welches in diesem Buch ebenfalls Erwähnung findet. Ich glaube daher auch, dass es mir helfen würde, meine Erlebnisse und auch die Widersprüchlichkeiten dieses Landes besser zu verstehen.

    Ebenso gefällt mir, dass der Autor in seinen Geschichten Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen und Gesellschaftsschichten eine Stimme gibt. So bekommt man einen viel umfassenderen und vielseitigeren Einblick. Ich hoffe, dass euch dies auch während eures Auslandsaufenthaltes in China gelingen wird.
    Vielleicht könnt ihr uns ja dann im Nachhinein berichten, ob die Vorbereitung durch dieses Buch hilfreich war, oder ob ihr gar ganz andere Erlebnisse gemacht habt.

    Ich freue mich auf weitere spannende Literaturrezensionen die uns China und seine Menschen ein Stückchen näher bringen werden.

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