In China essen sie den Mond: Ein Jahr in Shanghai

Buchrezension von Mira Ernst

  • Titel: In China essen sie den Mond:In China essen sie den Mond Ein Jahr in Shanghai
  • Autorin: Miriam Collée
  • Genre: Autobiographischer Reisebericht
  • Taschenbuch: 263 Seiten
  • Verlag: Gustav Kiepenheuer (2009)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN: 978-3-7466-2686-4
  • Preis: 8,99 € (Taschenbuch)/ 15,99 € (Broschiert)

 

Meine Motivation

Ob in Bezug auf Filme oder Bücher, für mich sind es die autobiographischen Geschichten, die ich als spannend und authentisch empfinde und aus denen ich daher am meisten mitnehme. So machte ich mich auf die Suche nach einer persönlichen Erzählung mit Chinabezug und stieß durch Recherchen auf das Buch In China essen sie den Mond. Das auffallende Design und die an den Klappentext angeschlossene Bewertung eines aufschlussreichen, charmanten und sehr lustig geschriebenen Buches machten mich neugierig. Die Autorin berichtet von ihrem Aufenthalt in Shanghai, wo sie mit ihrer Familie in eine chinesische Nachbarschaft zieht – eine Entscheidung, durch die Probleme, Missverständnisse und skurrile Situationen vorprogrammiert sind. Da durch das ASBE-Programm mein Lebensmittelpunkt ebenfalls für ein Semester in Shanghai liegen wird und man sich als Gast in einem für uns sehr fremden Land auf ein Aufeinandertreffen der Kulturen vorbereiten sollte, schien mir die Lektüre sehr passend.

Die Autorin

Miriam ColléeDie Autorin Miriam Collée wurde 1973 in München geboren. Sie studierte Romanistik und Politologie (Politikwissenschaft) in Hamburg und arbeitete nach dem Studium fünf Jahre lang als Dienststellenleiterin bei der Frauenzeitschrift “Allegra”. Anschließend war sie etwa zwei Jahre Redakteurin beim Stern, bis sie 2008 ihre Stelle dort aufgab, um mit ihrem Mann Tobias und der gemeinsamen damals drei-jährigen Tochter Amélie nach Shanghai zu gehen. Dieses Abenteuer erster Berührungen mit dem Reich der Mitte schrieb sie in ihrem Buch In China essen sie den Mond nieder, das 2009 nach einem Jahr Aufenthalt in der Millionenmetropole veröffentlicht wurde. Rückblickend betrachtet Miriam ihr Shanghai-Abenteuer heute als eine große Chance der persönlichen und beruflichen Entwicklung, durch die sie noch einmal neu im Leben starten konnte ohne eine typische Working-Mum-Karrierelaufbahn hinzulegen. So entschied sie sich anschließend zu einer beruflichen Neuorientierung als Relocation Beraterin für frisch ankommende Ausländer.

In China essen sie den Mond – Inhalt

Das Familienglück in Hamburg ist perfekt bis Tobias mit einem Jobangebot für Shanghai nach Hause kommt und sich die kleine Familie in ein Abenteuer im Land der Mitte stürzt. Während Tobias von seinem Konzern entsendet wird, um den Chinesen westliche Körperpflege näher zu bringen, gibt Miriam beruflich alles auf und begleitete ihren Mann ohne Job, ohne Chinesischkenntnisse und ohne Plan. Zwar gehören die Collées in Shanghai einer großen Gruppe Expats (Abkürzung für Expatrias, Ausländer) an, doch mit ihnen haben sie reichlich wenig gemeinsam zumal es sehr schwierig ist, Menschen mit gleicher Vertragslaufzeit zu finden und es daher ständig Abschied nehmen heißt. Statt in eins der Ausanderer-Hochhauskomplexe zu ziehen und Teil des Expat-Universums zu werden, entscheidet sich die Familie für ein Lanehouse, die Reihenhausvariante in chinesischer Nachbarschaft mit toten Hühnern auf der Wäscheleine und einem scheinbar herrschenden Pyjama-Dress Code.

Diese Entscheidung hat schwerwiegende Folgen für die ersten Monate in Shanghai, denn Miriams Tage sind durch Auseinandersetzungen mit Handwerken gefüllt, die ihr neues Heim herrichten sollen. Möbel brechen zusammen, die undichte Toilette läuft regelmäßig aus und täglich kommen neue Arbeiter, die mehr Baustellen verursachen als Probleme zu beseitigen. Sprachliche Differenzen und unterschiedliche Auffassungen treiben Miriam immer wieder an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Dann wäre da noch die Sache mit der Zuständigkeit, denn nicht nur verursachte Baustellen fallen in den Zuständigkeitsbereiche eines anderen, der natürlich zunächst bestellt werden muss, sondern auch für die gewöhnlichsten Einkäufe wie eine Zahnbürste gibt es spezielle Verkäuferinnen, die für die Aushändigung der Produkte zuständig sind. „Can not“ ist dabei Erklärung für alles und ein Satz den Miriam zu fürchten lernt. Kurz gesagt: Ihre Geduld wird in jeder denkbaren Situation auf die Probe gestellt und so verliert sie aus chinesischer Perspektive nicht nur einmal ihr Gesicht.

Erst als eine Nachbarin auszieht und Miriam Einblicke in dessen Haus erlangt, beginnt sie zu verstehen, warum ihre Familie wie Außerirdische gesehen und behandelt wird. Von außen gleichen sich die Häuser, doch auf gleichem Raum wohnen in dunklen, feuchten Zimmern acht Parteien. Durch diese Schlüsselsituationen entwickelt Miriam ein Verständnis und eine Gelassenheit, durch die ihre Langnasen (Europäer) – Probleme in den Hintergrund gerückt werden und sie schließlich ihr Glück realisiert diese Erfahrungen in China sammeln zu dürfen. Allmählich lernt sie den Charme des Landes zu genießen, beginnt die Sprache zu lernen und ist gespannt, was die China Daily Soap ihr täglich neues zu bieten hat. Nachdem sie Land und Leute in ihr Herz geschlossen hat und mit verschiedenen Bräuchen und Festen in Berührung gekommen ist, stellt sie nach einem Jahr Shanghai fest: „Vermutlich habe ich überall Heimweh. In Hamburg nach Shanghai, in Shanghai nach Hamburg. Das Reich der Mitte ist wohl irgendwo dazwischen.“ (S. 263)

Analyse und Bewertung

Aus westlicher und sehr verwöhnter Perspektive schildert die Autorin ihr erstes Jahr in Shanghai. Dabei durchlebt sie ein Wechselbad der Gefühle, das sich von Verzweiflung über Gelassenheit zu einer heimlichen Sehnsucht nach Shanghai entwickelt und sich auch in der Wahrnehmung des Lesers wiederspiegelt. Während man zunächst ein Gefühl der Erleichterung verspürt nicht in den beschriebenen Umständen leben zu müssen, führt Miriams Perspektivwechsel und ihre im Verlauf des Aufenthaltes entwickelte Offenheit für die chinesische Kultur zu einem starken Interesse, diese Stadt doch einmal selbst zu erleben. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Empfindungen und damit auch der Schreibstil der Autorin ändern. Sie lernt skurrile Situationen zu belächeln und in befremdlichen, urkomischen Momenten die Ruhe und Contenance zu bewahren anstatt in Frustration zu verfallen. Zunächst jammert, kritisiert und meckert sie über die Chinesen und die aufkommenden Probleme, doch im Fortgang der chronologisch Erzählungen entsteht sowohl bei der Protagonistin Miriam, als auch beim Leser ein Verständnis für die chinesische Mentalität.

Dabei ist die subjektive Perspektive des autobiographischen Reiseberichtes zu berücksichtigen, die zu einem sehr verfälschend Eindruck von Shanghai führen könnte. Hätten die Collées sich beispielsweise für ein Hochhauswohnkomplexe entschieden anstatt die Differenzen mit der chinesischen Nachbarschaft auf sich zu nehmen, hätten das Gefühlschaos und die Empfindung des Kulturshocks vermutlich einen anderen Verlauf genommen. So mögen ihre Beschreibungen für den ein oder anderen übertrieben wirken, doch letztlich stellen sie eine realistische westliche Perspektive dar, die mit solch einer kulturellen Erfahrung einhergehen und insbesondere für Auswanderer, die über den touristischen Tellerrand hinausschauen wollen, sehr interessant und hilfreich sein können.

Insgesamt gelingt es Miriam Collée durch einen unverschönten, direkten und lockeren Sprachstil ihren chinesischen Alltag, ihre Erfahrungen sowie kulturelle, sprachliche und soziale Unterschiede auf witzige und charmante Art zu beschreiben. In Bezug auf ihren Schreibstil ist lediglich die sehr detaillierte Darstellung der Probleme mit dem Haus in Shanghai zu bemängeln, die meines Erachtens einen zu großen Teil des Buches einnimmt. Abgesehen davon sind ihre Erzählungen anschaulich, lassen den Leser hautnah an ihren Höhen und Tiefen teilhaben und sorgen immer wieder für ein Schmunzeln.

In China essen sie den Mond ist witzig und lehrreich fern der bekannten Klischees zwischen Langnasen und Mondessern. Es ist kein tiefgreifendes Sachbuch, das objektive Einblicke in das Leben in Shanghai gewährt, aber ein Buch, das besonders den Abenteurern zu empfehlen ist, die nach Shanghai auswandern und die Kultur hautnah erleben wollen. Auch China-Neulingen, die an der chinesischen Mentalität und Lebensart interessiert sind, ist dieses Buch uneingeschränkt zu empfehlen.

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