Buchrezension: Die Trauerfeier

Buchrezension von Johanna Köhler

Formelle Aspekte

Titel: Die Trauerfeier

Autor: Yi Chung-Jun

Taschenbuchausgabe: 168 Seiten, (7 Kapitel)

Verlag: Horlemann

Erscheinungsjahr/- ort: 2002 in Bad Honnef

Sprache: Deutsch

Aus dem Koreanischen von: Sophia T. Seo

ISBN: 9783 8950 2154 1

Erhältlich: www.koreanbook.de

Preis: 9,95€

 

Der Autor

Der Autor Yi Chung-Jun (auch Lee Chung-Jun; 이청준) kam am 09. August 1939 in Jangheung/Südkorea zur Welt. Er war verheiratet und hatte eine Tochter. Nachdem er sein Germanistikstudium an der Nationaluniversität in Seoul beendet hatte, veröffentlichte er Kurzgeschichten und Romane. Yi zählt zu den meistgelesenen und einflussreichsten Autoren Koreas. Mit seinen Erzählungen verbesserte er die Qualität der koreanischen Literatur nachhaltig und wurde für seine Arbeiten mehrfach ausgezeichnet. So erhielt er unter anderem den „Kultur- und Kunstpreis der Republik von Korea“ sowie den „Literaturpreis der Republik von Korea“. Seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt (u.a. Deutsch, Französisch, Spanisch) und teilweise verfilmt. Am 31. Juli 2008 verstarb Yi im Alter von 68 Jahren in Seoul.

 

Motivation & Erwartungen

Als ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Buch für dieses Forum begab, waren mir zwei Dinge wichtig. Zum Einen sollte das Buch, welches ich wählen würde, eine interessante Erzählung mit sozio-kulturellen Aspekten kombinieren. Ich wollte nicht über eines der vielen heiß diskutierten politischen oder historischen Themen lesen, sondern koreanische Gesellschaftsformen/-normen anhand eines Romans kennen lernen. Zum Anderen sollte das Buch von einem koreanischen Autor stammen, denn mein Ziel war es, einen bestimmten kulturellen Aspekt der koreanischen Gesellschaft aus Sicht eines Einheimischen kennen zu lernen.

Mit der Auswahl des Romans „Die Trauerfeier“ erwartete ich, dass ich anhand einer ganz bestimmten Situation – einer Trauerfeier – Einblicke in die Traditionen und Bräuche einer koreanischen Familie erhalten könnte. Das „große Ganze“ der koreanischen Kultur anhand eines einzigen Buches zu verstehen oder einen groben Überblick zu bekommen (bspw. m.H.v. einem Reiseführer oder Ratgeber) erscheint mir nicht realistisch; dies möchte ich vielmehr selbst vor Ort entdecken. Dass es sich um eine Trauerfeier, und damit im ersten Moment um ein eher bedrückendes als fröhliches Ereignis handelte, schreckte mich nicht ab. Bereits der Klappentext steigerte meine Erwartungen, dass ich in diesem Buch etwas über Unterschiede der koreanischen Gesellschaft im Vergleich zur deutschen, aber auch über Differenzen zwischen den Generationen erfahren würde.

 

Der Roman

Der Inhalt ist kurz zusammengefasst und auch nicht besonders ausschlaggebend für den Roman. Die Mutter des Hauptcharakters und Erzählers Yi Junsup ist im hohen Alter von 88 Jahren friedlich verstorben, d.h. zunächst erreicht Junsup die Nachricht von ihrem Tod.

Als ältester Sohn ist er nach koreanischer Tradition für die Trauerfeierlichkeiten verantwortlich. Also macht er sich mit seiner Frau und seiner Tochter von Seoul aus auf den Weg in sein kleines Heimatdorf im Süden der Republik.  Während dieser Fahrt erhält Junsup einen Anruf von seinem Neffen, der ihm mitteilt, dass sie sich geirrt haben und die Mutter (noch) nicht tot sei. Dennoch fahren Junsup und seine Familie, nun weniger hastig als zuvor, weiter in seinen Heimatort. Dort angekommen stirbt die Mutter dann am nächsten Tag tatsächlich.

Im Haus der Verstorbenen versammeln sich nach und nach Freunde und Verwandte, welche aus dem ganzen Land anreisen. Die viertägigen Trauerfeierlichkeiten bieten Anlass, um die Familiengeschichte mit all ihren Licht- und Schattenseiten Stück für Stück aufzuarbeiten. Die Angehörigen und Freunde feiern verschiedene traditionelle Rituale in und um das Haus der Verstorbenen, bis diese letztlich auf einem nahegelegenen Berg beigesetzt wird.

Der ganze Roman spielt an nur vier Tagen und, abgesehen von Junsups Startort Seoul, lediglich in und um das Haus der Mutter herum. Am Ende von jedem Kapitel befindet sich ein Brief, welchen Junsup an einen gewissen Herrn Lim verfasst. In diesen Briefen kommentiert bzw. erweitert er die Erzählungen des vorausgegangenen Kapitels.

 

Thematische Schwerpunkte

Interessanter als der rein sachliche Inhalt sind die thematischen Schwerpunkte des Romans.

Besonders bemerkenswert ist die Art, in der der Roman verfasst wurde. Der Erzähler (Junsup) schildert von sich als dritte Person. Erst nach einiger Zeit bemerkt der Leser, dass er sich mitten in dem Manuskript befindet, welches Junsup für Herrn Lim schreibt. Herr Lim  möchte das Leben der Mutter unter dem Titel „Das Fest“ verfilmen.

Zwischenmenschliche Beziehungen nehmen einen weiteren Schwerpunkt ein. Jeder dargestellte Charakter besetzt eine bestimmte Position in der Gesellschaft, sodass jede Nische durch eine Figur repräsentiert zu sein scheint. Beispiele hierfür bieten die Mutter (als Respektsperson), Junsup (als Familienoberhaupt), Yongsun (als „schwarzes Schaf“), die Freunde Junsups aus Seoul (als jüngere Generation), die spielenden Kinder (als jüngste Generation) u.v.m..

Die Person Junsup ist der Dreh- und Angelpunkt der Trauergesellschaft. Einerseits schreibt er diese Geschichte selbst, er ist der Autor des Drehbuches, andererseits leitet er die Feierlichkeiten in seiner Rolle als Familienoberhaupt. Er ist dafür verantwortlich wie die einzelnen Personen dargestellt sind und schreibt ihnen ihre Rollen zu.

„Das Fest“ soll der Titel des Filmes des Herrn Lim lauten. Zunächst erscheint dieser Titel aus Junsups Sicht vollkommen indiskutabel. Im Verlauf der Erzählung wandeln sich jedoch seine Meinung und seine Ansichten über den Ablauf einer Trauerfeier. Vor allem die jüngere Gesellschaft rückt ab von traditionelle Rituale hin zu modernen, neue Denkweisen.

Bei abschließender Betrachtung fällt auf, dass zwischen dem Autoren Yi Chung-Jun und dem Hauptcharakter Yi Junsup eine Namensgleichheit besteht. Dies könnte als Zufall dargestellt werden, da der Name „Yi“ in Korea sehr weit verbreitet ist. Jedoch deutet die Ähnlichkeit der Lage des Geburtsortes des Autors und des Heimatortes Junsups auf einen gewollten Zusammenhang zwischen den Lebensgeschichten der beiden hin.

 

Bewertung & Fazit

Zusammenfassend betrachtet hat der Roman „Die Trauerfeier“ meine oben erläuterten Erwartungen voll und ganz erfüllt. Er bietet meiner Ansicht nach deutlich mehr Stärken als Schwächen.

Stärken

Am Beispiel der Familie Junsups gewährt der Roman tiefe Einblicke sowohl in die Kultur Koreas, als auch in die Entwicklung der koreanischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert. Die während der Trauerfeier vollzogenen Rituale werden für den Leser stets erklärt; sei es im Fließtext oder in einer kurzen Fußnote.  Hier wird deutlich, dass der Roman nicht nur für Einheimische, sondern besonders für Leser geschrieben ist, denen koreanische Traditionen noch unbekannt sind.

Jedes der sieben Kapitel endet mit einem zusammenfassenden bzw. erklärenden Brief. Diese helfen dem Leser die Bedeutungen der Rituale und des Verhaltens der Akteure nachzuvollziehen und führt zu einer Identifikation mit dem Erzähler. Die Briefe lockern die Erzählung auf und runden jedes Kapitel ab. Die klare Sprache sowie der deutlich erkennbare rote Faden unterstützen den Lesefluss positiv.

Eine weitere Stärke des Romans ist die kritische Hinterfragung der (alten) Normen und Werte. Zunächst betont der Autor die Bedeutsamkeit der Einhaltung alter Rituale und traditionellen Vorgehensweisen während eines derartigen Festes. Im Laufe der Erzählung lockern sich diese, vermeidlich starren, Abläufe jedoch; dies geschieht nicht zuletzt durch die jüngeren Charaktere. Junsup, als Familienoberhaupt und Repräsentant der „mittleren“ Generation lässt diese Veränderungen letztlich zu und steht damit stellvertretend für seine Generation.

Schwächen

Leider weist die deutsche Übersetzung an der einen oder anderen Stelle Rechtschreib- bzw. Grammatikfehler auf. Dies führte dazu, dass der Lesefluss leicht unterbrochen wird, da mehrmals über eine Stelle hinweg gelesen werden muss. Weiterhin ist der Text hin und wieder etwas zäh, da manche Rituale zu detailliert bzw. wiederholend beschrieben werden.

Nichtsdestotrotz, entspricht dieses Buch meiner Erwartungshaltung: es bietet einen kleinen, überschaubaren Einblick in einen Teil der koreanischen Kultur und zeigt das Bild einer sich verändernden Gesellschaft auf. Es umfasst unterschiedlichste Charaktere, die während eines von traditionellen Riten begleiteten Festes gemeinsam einen Weg zwischen Brauchtum und Moderne finden.

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