Ein toter Soldat ist besser als ein gefangener Soldat – das scheint die Kernaussage einer israelischen Direktive zu sein, die ihren Soldaten mit auf den Weg gegeben wird. Das zumindest lässt sich einer israelischen Tageszeitung aus dem Jahre 2003 entnehmen, die eine für mindestens fast zwei Jahrzehnte geheim gehaltene Weisung an die Öffentlichkeit brachte: die sogenannte Hannibal-Direktive. Die vermutete Intention dahinter: israelische Gefangene sollen den Freitod beispielsweise durch die Granate vorziehen, statt sich in eine Gefangenschaft zu begeben, dort vermutlich zu leiden oder gar den Staat zu gefährden. Auch das Militär sei angewiesen, eine Gefangennahme ihrer eigenen Soldaten um jeden Preis zu verhindern.[1] Eine sehr brisante Anweisung, die die heutige Debatte prägte; denn die Regierung stand dafür ein, an der Direktive festzuhalten.
Die Hannibal-Direktive bilde einen Grundpfeiler der israelischen Staatssicherheit. Bereits seit der Unabhängigkeit des israelischen Staates stehe dieser im militärischen Konflikt mit den umliegenden Staaten und zahlreichen Gruppierungen. Gerade heute, in Zeiten der Übergriffe durch den sogenannten Islamischen Staat und die Al-Nusra Front, müsse sich der Staat besonders um seine Sicherheit sorgen. Demnach sei es zwingend notwendig, gerade ungleiche Geisel-Austausche mit terroristischen Gruppierungen zu verhindern, die nicht selten hunderte Geiseln gegen eine einzelne israelische Geisel fordern würden. Ein Tausch, der dem israelischen Staat letztlich schaden würde. Durch die klare Direktive werde dem Staat eine schwierige Entscheidung abgenommen, die bei falscher Einschätzung dem ganzen israelischen Volk schaden könne. Nach dem Prinzip des Utilitarismus müsse sich der gefangengenommene israelische Soldat für das größere Wohl des Volkes opfern. Israel habe eine enorm fortschrittliche Waffenausstattung, die weder in Theorie noch in Praxis in die Hände des Feindes fallen dürften – was nicht auszuschließen sei, könnten doch auch Wissenschaftler unter den Offizieren sein.
Die Opposition sah hingegen eine Verletzung der Menschlichkeit in der Direktive. Durch die klare Weisung des Militärs sei den Soldaten kein anderer Ausweg mehr als der Freitod geboten – würden sie diesen nicht vollziehen und sich durch einen Geiselaustausch retten lassen, so stünden sie im israelischen Volk als Verräter da. Somit müsse man davon ausgehen, dass auf den Soldaten ein enormer psychischer Druck laste. Auch sei es inhuman, menschliches Leben mit dem Utilitarismus zu kalkulieren – schließlich hätten die Soldaten auch Eltern, Frauen und Kinder zuhause auf sich warten, was man nicht aus den Augen verlieren dürfe. Immer gebe es auch die Chance, dass ein Soldat sich auch eigenständig aus der Gefangenschaft befreien und zu seiner Familie zurückkehren könne – ein Tod sei nicht unumgänglich. Die technische Fortschrittlichkeit des Staates sollte nicht im Kontext des Geheimnisverrats angeführt werden, sondern vielmehr als Grund gesehen werden, dass der Staat es nicht nötig habe, seine Soldaten auf eine solche Weise zum Selbstopfer zu zwingen. Die tiefe Loyalität der Soldaten zu ihrem Staat verhindere, dass staatstragende Geheimnisse verraten würden – sofern sie überhaupt über derart brisante Informationen in sich trügen.
Zwar bewegen wir uns langsam auf das Ende der Vorlesungszeit zu, doch eine Ermüdung merkte man unseren Debattanten noch lange nicht an. Mit zahlreichen Zwischenrufen und Zwischenfragen wurde die Stimmung zwischenzeitlich sehr hitzig – hier trafen offensichtlich Militärethik und Sicherheit des Staates hart aufeinander. Auch die Jury hatte es bei ihrer Bewertung heute nicht einfach. Im Endeffekt gewann die Regierung und konnte damit nun durchsetzen, dass die Hannibal-Direktive weiter Anwendung finden wird – zum Wohle und Schaden Israels uns seiner Soldaten.
[1] Die Informationen entstammen dem zur Debatte gereichten Fact-Sheet und dem entsprechenden Wikipedia-Artikel.
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